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Wood, Barbara

Wood, Barbara

Titel: Wood, Barbara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieses goldene Land
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Ein Schild auf der Haupttheke verkündete: »Wir führen alles. Und
was wir nicht haben, können wir besorgen.« Daneben fein säuberlich gestapelt
importierte Zeitungen: die Londoner Times, Punch, die Illustrated London News sowie die Quarterly Review.
    Ausgestellt
waren Taschentücher und Handschuhe für Damen, Handtaschen und Muffs, Ballen von
Kattun, Baumwolle und Seide in erstaunlich vielen Farben, außerdem ein Stapel
Arbeitshosen für Männer mit dem stolzen Hinweis »Kentucky Jeans aus Amerika«.
Eine Glasvitrine war bestückt mit Marzipan, kandierten Erdnüssen, Würfeln aus
eingedicktem Sirup, »Toffee« genannt, und Yorkshire Pennies - kleine schwarz glänzende Lakritzknöpfe. In den Regalen
reihten sich Oliver Twist, Die Pickwicker und Eine Weihnachtsgeschichte, die Bücher von Jane Austen,
William Makepeace Thackeray und Sir
Walter Scott, ferner Tennyson, Keats und Byron,
die gesammelten Werke von Shakespeare, und das Schild »Eigens aus Amerika« wies
auf Melville und Richard Henry Dana hin.
    Als Hannah
am Ende eines Ganges in den nächsten einbog, sah sie etwas, das sie jäh
innehalten ließ.
     
    Inzwischen
schlängelte sich Alice durch das Labyrinth von Gängen und Regalen und hoffte
nur, das, was sie suchte, auch zu finden. Miss Conroys Anregung, ihre Narben zu
überschminken, war schwieriger in die Tat umzusetzen als gedacht. Damen
benutzten nun mal keine Schminke. Stattdessen wurden sie dazu angehalten, sich
vor Betreten eines Zimmers auf die Lippen zu beißen und in die Wangen zu
kneifen; der Gebrauch von Stiften und Rouge galt als skandalös und typisch für
Frauen mit »lockerem« Lebenswandel. Schminke, vornehmlich in Frankreich
hergestellt - verschiedene Puder, Grundierungen und leichte, »natürlich« eingefärbte
Produkte auf der Basis von Wachs waren zwar im Handel, aber unerschwinglich
teuer. Hannah und Alice hatten sich bereits im Victoria Theater an der North Terrace bei den Schauspielern erkundigt, ob sie von ihren Kosmetika etwas
verkauften, aber alle hatten eifersüchtig ihre Geheimrezepte für sich behalten.
Weshalb Alice weiterhin mit ihrer von Narben zerfurchten Wange und ihrer
fehlenden Augenbraue unter die Leute ging und die kahle Stelle auf ihrem Kopf
sowie das verstümmelte Ohr unter ihrem eigenen Haar versteckte und die Haube,
die sie als Dienstmädchen auswies, tief in die Stirn zog.
    Als die
Kunde von dem neuen Kaufhaus mit den laut Ankündigung »vielen Abteilungen« -
einem neuen Konzept frisch aus London - umging, in denen es so gut wie alles
gab, vom Nähfaden bis zu Gummistiefeln, hatte Alice sofort an Schminke gedacht.
Jetzt kam sie auf ihrem Streifzug an einer verlockenden Auswahl von Nadeln und
Nähgarn vorbei, von Knöpfen und Strickgarn, von Maßbändern und Stecknadeln.
Andere Gänge waren bestückt mit Kerzen und Lampenöl, Zierdeckchen und Seife,
Blumensamen aus England, Kaffee aus Arabien, Kakao aus Mexiko, Tee aus Indien.
Decken und Schüsseln wurden angeboten, Handspiegel und Haarbürsten, Galoschen
und Sonnenhüte. Schließlich landete Alice vor einer großen Korktafel mit dem
Hinweis »Für unsere Kunden zur gefälligen Bedienung«. Visitenkarten, Inserate,
Ankündigungen und Notizen waren dort angeheftet, darunter viele von Leuten,
die Arbeit suchten oder ihre Dienste anboten.
    Wenn Alice
in der Vergangenheit erklärt hatte, sie würde jede Arbeit annehmen, war sie sich
inzwischen dessen nicht mehr so sicher. Sie hatte einmal im Hause eines
wohlhabenden Mannes unweit der North Terrace vorgesprochen;
man hatte sie durch die Hintertür eingelassen, und die Dame des Hauses hatte
das Gespräch in der Küche geführt, wobei sie - in Gegenwart des Personals! -
auch sehr persönliche Fragen gestellt hatte. Von oben herab hatte sie Alice
behandelt, noch schlimmer als Lulu, und sie hatte eine Litanei von Verboten
heruntergeleiert, für den Fall, dass Alice das Glück beschert sein sollte,
angenommen zu werden. Alice hatte gemerkt, dass dies hier nur eine andere Form
von Sklaverei sein würde, hatte der verblüfften Dame gedankt und war gegangen.
    Seit sie
sich dem Zugriff von Lulu Forchette entzogen hatte, wusste sie eigentlich
nichts Rechtes mit sich anzufangen. Einundzwanzig Jahre lang hatte man Alice
Starky angewiesen, was sie zu tun, was sie zu essen, wo sie zu schlafen hatte.
Nicht eine Stunde lang hatte sie über sich selbst bestimmt. Jetzt war sie ihre
eigene Herrin, hatte aber keine Ahnung, wie sie ihr Leben anpacken sollte. »Du
kannst alles werden, was

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