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Stimme lag etwas Beunruhigendes, und so protestierte sie nicht. Außerdem hatten auch Ingrids Schwangerschaft und das Benehmen ihres Onkels ein beklommenes Gefühl in ihr hinterlassen.
Ein wenig schwankend erhob sie sich, und Ingrid sprang gleich vor, um sie zu stützen. Sie griff nach Franks Arm, der ihr ein »Tut mir leid« zuraunte - wahrscheinlich wegen des ausgefallenen Rundgangs.
Der Schläger brachte sie nach unten, und es ging viel leichter als aufwärts. Auf halber Strecke hörten sie von oben Ingrids Lachen, ein lautes, näselndes Hi-hah wie von einem Maultier.
Als der Glatzkopf unten die Haustür öffnete, dämmerte ihr, dass irgendwas nicht stimmte. Der Russe hatte die Tür wieder geschlossen, und sie blieben unter dem Vordach stehen, um ein wenig zu verschnaufen. »Aber eins begreife ich nicht, Frank. Wenn er den Kaufvertrag für das Haus gerade erst unterschrieben hat, wieso ist er dann schon eingezogen?«
Frank hörte ihr nicht zu. Die Hände an den Hüften, starrte er nach links die Straße hinauf. Eine Frau in Tinas Alter löste sich aus dem Schatten einer Tür und lief auf sie zu. Ihr Ruf klang äußerst bedrohlich. »Frank!«
Ihr erster Gedanke war: Ist das Franks Frau?
Von rechts rannte jetzt ebenfalls ein Mann auf sie zu. Seine Jacke flatterte von einer Seite zur anderen, als er auf sie zujagte. In der Hand hatte er eine Waffe. Was war denn das für einer? Doch ihr Gedankengang wurde jäh unterbrochen von Roman Ugrimows Stimme, und alles schien sich auf einmal zu vermischen. »Und sie liebe ich, du Scheißkerl!«
Tina trat vor und wieder zurück, weil Frank nach oben starrte. Ein Schrei schnitt durch die Luft und verwandelte sich in ein schrilles Winseln.
Dopplereffekt, schoss es ihr spontan durch den Kopf. Dann erkannte sie, was da herunterstürzte. Rosafarbenes Geflatter, braunes Haar, ein Körper, ein Mädchen: Ingrid. Und dann -
Punkt 10.27 Uhr landete Ingrid Kohl einen Meter vor Tina auf dem Boden. Ein dumpfer Aufprall, gebrochene Knochen, zerrissenes Gewebe. Blut. Schweigen.
Sie konnte nicht mehr atmen. Ihr Körper verkrampfte sich.
Kein Laut drang über ihre Lippen. Erst als Frank eine Pistole zog, dreimal schoss und davonsprintete, löste sich ihre Lähmung. Die Frau - Ehefrau? Freundin? Räuberin? - hetzte ihm nach. Stolpernd stürzte Tina nach hinten auf das Kopfsteinpflaster, und Schreie brachen aus ihr hervor.
Dann tauchte der andere Typ neben ihr auf, der mit der Pistole. Verstört starrte er auf das rosafarbene Bündel vor ihnen. Dann bemerkte er Tina, und ihre Schreie ließen ein wenig nach. Sie hatte Angst vor ihm und seiner Waffe. Doch dann überwältigte es sie von neuem, und sie brüllte: »Es geht los! Es geht los! Ich brauche einen Arzt!«
»Ich ... « Er blickte in die Richtung, wo Frank und die Frau verschwunden waren. Erschöpft sank er neben ihr nieder. »Holen Sie einen Arzt, verdammt!«, rief sie. Dann hörten sie drei trockene Schüsse.
Erneut sah der Mann sie an wie einen Geist, dann zog er sein Telefon heraus. »Schon gut, es wird alles gut«, murmelte er, während er wählte. Er sprach italienisch mit jemandem. Sie erkannte das Wort »Ambulanza«. Erst als er ausschaltete, fiel ihr auf, dass er Schusswunden in der Brustgegend hatte. Sein Hemd war praktisch schwarz von glänzendem, frischem Blut.
Inzwischen war eine Welle von mütterlichem Pragmatismus über sie hinweggespült. Es war egal, dass er verletzt war; Hauptsache, er hatte den Krankenwagen gerufen. Ihr Baby war so sicher, wie es unter diesen Umständen überhaupt möglich war. Sie entspannte sich ein wenig, und ihre Kontraktionen verlangsamten sich wieder. Der Mann starrte sie an und griff nach ihrer Hand. Er packte sie fest, fast zu fest, als nähme er sie gar nicht richtig wahr. Vorn in der Straße tauchte nun die Frau auf, deren Namen sie erst später erfahren sollte: Angela Yates. Sie weinte. Mit traurigem Blick beobachtete der Mann seine Komplizin.
»Wer sind Sie eigentlich?«, presste Tina hervor »Was?«
Sie brauchte einen Moment, bis sie wieder ruhiger atmen konnte. »Sie haben eine Waffe.«
Als hätte sie ihn auf etwas unerwartet Schockierendes aufmerksam gemacht, ließ er die Pistole los, die klappernd zu Boden fiel.
»Wer ... « Mit gespitzten Lippen blies sie gegen den Kontraktionsschmerz an. »Wer sind Sie, verdammt?«
»Ich ... « Er klammerte sich noch fester an ihre Hand. Seine Worte waren fast ein Gurgeln. »Ich bin Tourist.«
6
Auch sechs Jahre später war für Janet
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