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gestorben.«
Ihr Gesicht erstarrte, als sie das hörte, und vielleicht war es diese Tragödie, die plötzlich eine starke Liebe in ihr für diesen Mann weckte, der ihr im Grund noch völlig fremd war. Wer würde nach so einem Schicksalsschlag nicht hin und wieder in Depressionen verfallen und sogar mit dem Gedanken an Selbstmord spielen? Bevor sie ihre Empfindungen und die obligatorische Entschuldigung in Worte fassen konnte, hatte er weitergesprochen, als müsste er sich das alles von der Seele reden.
»Ich hatte niemanden mehr. Von den Verwandten meines Vaters lebte keiner mehr, und die Eltern meiner Mutter waren kurz nach meiner Geburt gestorben.«
»Und was hast du gemacht?«
»Ich hatte keine große Wahl. Ich war fünfzehn, und der Staat hat mich in ein Waisenhaus gesteckt. In Oxford. North Carolina, nicht England.« Er zuckte mit den Achseln. »Nicht so schlimm, wie es klingt. Meine Noten wurden sogar besser, und ich hab ein Stipendium gekriegt. Für die Lock Haven University, eine kleine Hochschule in Pennsylvania. Bei einem Studentenaustausch mit England hat mich so ein Typ von der Botschaft angequatscht. Hat mich zu Tom gebracht, der damals auch dort war. Sie dachten, dass ich vielleicht meinem Land dienen will.«
Die Geschichte klang stichhaltig, und Tina hatte nie einen Anlass gesehen, an ihr zu zweifeln. Und selbst wenn er hier und da bei einem Detail schummelte, kam es denn darauf wirklich an?
Im Grunde hatte sie nichts einzuwenden gegen Milo Weaver. Er war verschlossen, doch das ließ sich bei seiner Arbeit wohl kaum vermeiden. Das war ihr schon zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit klar gewesen. Das Entscheidende war, dass er im Gegensatz zu vielen anderen Männern kein Geheimnis aus seiner Liebe zu ihr und Stephanie machte. Selbst wenn er auf Reisen war, wusste sie, dass er an sie dachte. Er trank zwar, aber er war kein Alkoholiker, und sie konnte sich auch nicht allen Ernstes darüber beschweren, dass er ab und zu eine rauchte. Und die Depressionen? Auch wenn er manchmal schlecht gelaunt aus dem Büro kam, sauer über Dinge, von denen er nicht erzählen konnte, achtete er akribisch darauf, dass sich das nicht auf ihr Privatleben auswirkte. Zu ihr und Stephanie war er immer freundlich und rücksichtsvoll.
Aber jetzt ... jetzt war jemand gestorben, den sie ebenfalls gekannt hatte. Stephanie lag auf dem Boden und schaute sich einen Film mit irgendwelchen Gnomen an. Milo hatte gegessen und war ihr ausgewichen unter dem Vorwand, sich waschen zu müssen. Sie fühlte sich schrecklich allein.
Sobald die Dusche lief, öffnete sie die Tasche, die Milo bei der Tür abgestellt hatte.
Schmutzige Kleidung, zusätzliche Socken und Unterwäsche. Sein iPod. Laufschuhe. Fettstift für die Lippen, ein Päckchen Q- Tips, Deodorant, Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor sechzig, Zahnbürste, Zahnpasta, Zahnseide. Taschentücher. Ein Fläschchen Multivitamintabletten. Akkupressur - Armbänder gegen Reisekrankheit. Seife. Eine Art Notapotheke in einer verschließbaren Plastiktüte: Medikamente, Injektionsspritze, Verbandszeug, Nadel und Faden, Zinkoxidpflaster und Latexhandschuhe. Sie entdeckte weitere Präparate mit den Bezeichnungen Doxycyc1ine, Zithromax, Imodium, Benadryl, Advil gegen Erkältung und Nebenhöhlenentzündung, Prilosec OTC, Pepto-Bismol-Tabletten, Tylenol.
Ganz unten entdeckte sie eine Kaufhausbrille, ein Fläschchen Haarfärbemittel blond und fünfundzwanzig frische Zwanzigdollarscheine. Und Klebeband. Aus irgendeinem Grund beunruhigte sie das mehr als die Injektionsspritze.
Als sie alles wieder verstaut und den Reißverschluss zugezogen hatte, trat sie in das dampfende Bad. Hinter der undurchsichtigen Duschtür seifte sich Milo ein und summte dabei ein Lied, das sie nicht kannte.
»Wer da?«, fragte er.
»Ich.« Sie setzte sich auf die Toilette. Der Dampf brachte ihre Nase zum Fließen, und sie schnäuzte sich mit Klopapier.
»0 Mann«, stieß er hervor. »Was ist?«
»Endlich wieder zu Hause.« »Hmm.«
Kurz darauf drehte er den Hahn zu, öffnete die Tür und streckte den Arm nach dem Handtuch am Wandhaken aus. Sie reichte es ihm. »Danke«, sagte er reflexartig.
Wie alle Ehemänner trocknete er sich ab, ohne im Beisein seiner Frau einen Gedanken an seine Nacktheit zu verschwenden. Sie betrachtete die zwei Narben auf der rechten Seite seiner Brust, die aus der Stunde ihrer ersten Begegnung stammten. Vor sechs Jahren war Milos Körper eine seiner verführerischen Qualitäten gewesen. Er war nicht
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