World of Warcraft: Jaina Prachtmeer - Gezeiten des Krieges
hatte.
25. KAPITEL
Es dauerte lange – länger, als es Jaina lieb war, aber sie wusste, dass sie gründlich sein musste. Antonidas hatte ihr das beigebracht: Man durfte beim Erlernen eines Zaubers nicht überhastet vorgehen, da man sonst riskierte, dass er fehlging. Im besten Fall bedeutete dies, dass gar nichts geschah, wenn man ihn einsetzte, und im schlimmsten Fall, dass man eine Katastrophe auslöste. „Es ist genauso gefährlich, als würde man mit einer Waffe, die man zum ersten Mal in der Hand hält, in die Schlacht ziehen“, hatte er mahnend erklärt.
Darum setzte sich Jaina auf einen der kleinen Hügel des Prügeleilands und las noch einmal alles durch, was ihr das gestohlene Buch über die Fokussierende Iris sagen konnte. Dabei überflog sie auch einen Abschnitt, in dem stand, dass die arkane Energie so viel Ähnlichkeit mit den gewöhnlichen Elementen hatte, dass man sie nach magischen Gesichtspunkten eigentlich auch zu diesen hinzurechnen konnte. Plötzlich musste sie daran denken, was ihr Kalec über die Magie beigebracht hatte – dass es eine logische, präzise Wissenschaft war. Während sie weiterlas, streckte sie abwesend die Hand aus und strich über die Oberfläche der Fokussierenden Iris, die sich selbst hier noch, in der Hitze der Sonne, kühl anfühlte.
Sie hatte bereits einige Experimente mit dem Artefakt durchgeführt, und bislang waren sie alle erfolgreich gewesen; allein schon, dass die Kugel nun auf eine so handliche Größe zusammengeschrumpft war, bezeugte dies. Doch nach ihrer Ankunft auf der Insel war es an der Zeit gewesen, sie in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen und mit anderen Tests zu beginnen. Zwei Tage lang hatte sie kaum geschlafen und nur gegessen, was sie sich herbeizauberte. Es war schwer, ihre Ungeduld zu unterdrücken, aber ihre kleinen Erfolge spornten sie an. Und nun spürte sie endlich, dass sie bereit war. Kurz darauf sah sie aus zusammengekniffenen Augen, wie die meisten der Schiffe von der Feste Nordwacht aufbrachen. Vermutlich segelten sie nach Orgrimmar, überlegte sie. Die Vorstellung erfüllte sie mit Vorfreude.
Ja, geht nur heim , dachte sie.
Anschließend wandte sie sich dem Ozean zu. Die salzige Brise zerzauste Jainas weißes Haar, während sie sich konzentrierte und die Hände auf die Fokussierende Iris legte. Falls sie die Wirkungsweise des Artefakts richtig verstanden hatte, war es im Grunde ein Leiter – und in den richtigen Händen auch ein Verstärker – arkaner Energie. Unter ihren Fingern spürte sie ein kaltes Prickeln, dann zog sich plötzlich ein dünner Riss über die Oberfläche der Kugel. Wie ein riesiges Auge begann sie sich zu öffnen.
Jaina keuchte, brach den Kontakt aber nicht ab. Solange sie den Fluss der Magie kontrollierte, würde ihr das Artefakt gehorchen. Es gab einen blendend grellen Blitz, und dann fuhr ein Lichtstrahl von der Fokussierenden Iris ins Meer.
Eine Hand noch immer auf der Kugel, hob Jaina den anderen Arm und beschrieb damit die inzwischen vertrauten Bewegungen eines ganz bestimmten Zaubers.
Bei ihrem ersten Versuch hatte dieser Spruch ein einziges Elementarwesen herbeibeschworen, doch nun sah sie plötzlich gleich zehn vor sich. Zehn schimmernde, versklavte Wasserwesen, die auf den Wellen standen, ihre Augen funkelten, die Extremitäten, die ihnen als Arme dienten, waren mit Ketten gebunden.
Jaina lachte. Anschließend erschuf sie noch mehr Elementare und dann noch mehr, bis zwischen ihren Körpern kaum noch das Meer zu sehen war. Normalerweise wäre sie nicht zu so vielen Beschwörungen in der Lage gewesen, und selbst falls doch, so hätte sie jetzt vor Erschöpfung am ganzen Leib gezittert. Doch die Fokussierende Iris erledigte nun die ganze Arbeit für sie, und Jaina fühlte sich noch immer genauso kräftig wie zu Beginn des Zaubers. Sie erkannte jetzt, warum die Horde das Artefakt gestohlen hatte, ebenso wie sie verstand, warum Kalec so besorgt gewesen war.
Einen kurzen Augenblick lang – als das Bild des blauen Drachen, wunderschön und anmutig in jeder Gestalt, vor ihrem inneren Auge auftauchte – schweiften ihre Gedanken ab. Sie erinnerte sich an seine Güte, sein Lachen, und auch daran, wie ihr Herz schneller geschlagen hatte, als er ihre Hand küsste.
Doch dann war dieser Moment vorbei, und Jaina richtete ihre Aufmerksamkeit grimmig auf die Elementarwesen. In ihrer Welt gab es keinen Platz mehr für Güte oder Lachen. Nicht, solange auch nur ein einziger Orc noch atmete.
Ein paar
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