Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Mit starren, verhärteten Gesichtszügen, aus denen jede Sympathie gewichen war, schleppte er sich jeden Tag aus der Gießerei nach Hause. Er entzog sich ihrer Umarmung, wirbelte Walter durch die Luft und goß sich einen Drink ein. Dann setzte er sich meist an den Schreibtisch und schlug ein Notizheft auf, in dem er sich bis zum Abendessen verlor. »Wie war’s bei der Arbeit?« fragte sie. Oder: »Was dagegen, wenn’s noch mal grüne Bohnen gibt? Sind die Marsmenschen gelandet?« Völlig sinnlos. Keine Reaktion. Wie aus Stein gemeißelt saß er da, ein Mönch seiner geheiligten Texte. Nach dem Essen las er seinem verdutzten Sohn mit tonloser, gleichgültiger Stimme ein Kapitel aus Diedrich Knickerbockers Geschichte New Yorks vor, dann kehrte er zu den Büchern zurück. Manchmal wachte sie auch unter der Woche um ein oder zwei Uhr morgens auf, und da saß er immer noch, las, unterstrich etwas, machte sich Notizen, ging mit seinem ganzen Ich in der Seite auf, die er gerade las.
    »Du arbeitest zuviel«, sagte sie.
    Er fuhr hoch wie ein an der Beute überraschtes Raubtier, das Buch lag aufgeschlagen in seinem Schoß, als wäre es ein Wesen, das er belauert und gerissen hatte, blutiges Fleisch, an dem er im Schutz seiner Höhle nagte. »Nicht genug«, knurrte er.
    Anfangs war sie verständnisvoll gewesen. Immer wieder hatte sie sich gesagt, es sei alles in Ordnung, ihm werde einfach die Belastung zuviel, sonst nichts. Trotz der Vierzigstundenwoche pendelte er regelmäßig in die Stadt zu den Abschlußseminaren in Pädagogik und Geschichte, nahm an Parteiversammlungen teil, hielt Auto, Garten und Haus in Schuß, und neben alldem versuchte er, in dem knappen Zeitraum von zehn Wochen seine Diplomarbeit zu recherchieren und zu schreiben: das reichte wohl, um jemanden aus der Bahn zu werfen. Doch als der Sommer ins Land ging und er sich immer mehr in sich kehrte, lieblos, verbohrt und feindselig wurde, sah sie langsam ein, daß sie sich etwas vormachte und das Problem größer war, als sie zu ahnen gewagt hatte. Irgend etwas, das außerhalb von ihm lag, etwas Giftiges und Unwiderrufliches, verwandelte ihn. Er verhärtete zusehends. Er trieb einen Keil zwischen sie. Er entglitt ihr.
    Es hatte im Juni angefangen, als Sasha Freeman und Morton Blum verkündeten, daß die Partei eine Veranstaltung in Peterskill plante, und Truman sein Abschlußprojekt am New York City College begann, die Diplomarbeit. Als Thema hatte er eine obskure historische Episode aus der Gegend gewählt – Christina hatte noch nie davon gehört –, und er nahm die Arbeit mit der monomanischen Konzentration eines Edward Gibbon in Angriff, der die Chronik des Niedergangs von Rom verfaßte. Auf einmal hatte er keine Zeit mehr für Abendessen mit Hesh und Lola, keine Zeit mehr zum Kartenspielen oder für Fahrten ins Autokino, keine Zeit mehr, mit Walter Ausflüge an den Fluß zu unternehmen oder an kühlen Abenden ein bißchen Baseball zu spielen. Auch für Sex hatte er keine Zeit. Er arbeitete die halbe Nacht lang, runzelte in der Lichtpfütze seiner Schreibtischlampe die Stirn und kam ins Bett wie ein Mann mit einem Pfeil im Rücken: die Tür quietschte kurz in den Angeln, er machte drei Schritte und fiel in die Kissen und schlief schon, ehe er richtig lag. Die Wochenenden verbrachte er in der Bibliothek. Sie versuchte, mit ihm darüber zu reden. »Truman«, flehte sie, während er Notizen niederschrieb oder ein Buch beiseite warf, um nach dem nächsten zu greifen, »du schreibst doch nicht die Geschichte der abendländischen Kultur; mach doch mal eine Pause, geh es ein bißchen langsamer an. Truman!« rief sie erregt, »es geht doch bloß um ein Examen an der Uni!«
    Er machte sich nicht einmal die Mühe, ihr zu antworten.
    Und worüber schrieb er? Womit brachte er sich halb um, Tag und Nacht, bis seine Frau sich wie eine Witwe fühlte und sein Sohn ihn kaum noch kannte? Eines Nachmittags riskierte sie einen Blick. Eines prachtvollen, sonnigen Nachmittags, als Truman in der Fabrik war und Walter sich Erbsensuppe ins Hemd schmierte. Sie trug gerade den Müll aus der Küche, die Arme beladen mit zwei prallen Tüten voller Knochen und Schalen und gebrauchter Kaffeefilter, da lag er plötzlich vor ihr, der Mittelpunkt des Zimmers, des Hauses, der Stadt, des Staates, ja der ganzen Welt: dort, mitten auf seinem Schreibtisch lag der zerschlissene Schutzumschlag, den er nie aus den Augen ließ, außer wenn er bewußtlos auf dem Bett ausgestreckt lag oder für die

Weitere Kostenlose Bücher