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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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überwältigten, den dichten Haarschopf unter dem Käppchen, das auf ihrem Kopf saß wie ein Schmetterling –, dann senkte er den Blick. Er kannte sie damals noch nicht, doch dies war seine erste Begegnung mit Saskia Van Wart.
    »Macht auch nichts«, ächzte die Alte, schon etwas milder gestimmt. Sie wandte sich an den Sklaven. »Du da, Pompey«, sagte sie mit etwas kräftigerer Stimme, »bring sie in die Küche und sorge dafür, daß sie etwas zu essen bekommen. Und dann machst du ihnen hier in der Ecke ein Lager aus Stroh –« sie deutete auf eine Stelle an der Wand, »– und starr mich bloß nicht so an. Mir ist egal, was mein Sohn dazu sagt – solange er mich nicht in die Wälder verbannt, bin ich immer noch die Herrin dieses Hauses.«
    Früh am nächsten Morgen kam der Quallenmann sie holen.
    Van den Post hatte grootvader Cats’ Federhut auf dem Kopf und das Rapier am Gürtel hängen; ein unerfreulicher Ausdruck ließ seine Augen blitzen und spielte um seine Mundwinkel. »Aufstehen!« blaffte er und scheuchte sie mit Tritten von ihrem Strohlager auf. Wouter kannte diesen Ausdruck – es war der Ausdruck eines Jungen mit einem spitzen Stock vor einem in die Enge getriebenen Kaninchen.
    Er führte sie aus dem trüben Zwielicht des Lagerkellers durch die helle, lebhafte untere Küche mit ihren paradiesischen Düften, der säuerlich dreinblickenden Köchin und dem bullernden Herd, und dann hinaus in das ringsherum explodierende Licht der Morgensonne. Blinzelnd und seine Augen abschirmend, noch halb schlafend, hastete Wouter hinter dem schout her; den Pranger sah er erst, als er direkt davor stand.
    Kiefernholz. Weiß, frisch gehobelt und nach Harz riechend. Vier Löcher für die Füße im unteren Querbalken, vier für die Handgelenke im oberen. Hinter dem viereckigen Rahmen stand eine Bank. Oder nein, es war nur ein Baumstamm, roh zugerichtet, voller Rindenreste und Aststümpfe und so grün, daß er bestimmt gestern noch im Wald gestanden hatte.
    Zuerst begriff Wouter nicht. Doch als van den Post, ein verkniffenes Lächeln auf den Lippen, den Querbalken hochhob, wurde Wouter vom Ansturm der Gefühle übermannt. Er wollte protestieren – was hatten sie denn getan? Er hatte bloß den Mund aufgemacht, dem patroon widersprochen, die Wahrheit gesagt. Sie hatten nichts gestohlen und niemandem weh getan. Es waren nur Worte gewesen. Aber er konnte nicht protestieren: er hatte zuviel Angst. Auf einmal meinte er, keine Luft mehr zu bekommen. Zu ersticken. Der Atem kam nicht durch die Kehle hindurch, etwas Schweres lastete auf seiner Brust, und es stieg immer höher hinauf, gleich würde er platzen –
    Diesen Augenblick nutzte Jeremy für seine Flucht.
    Eben noch hatte er neben Wouter gestanden, das Gestell vor ihnen mit seinen grünen Augen mürrisch gemustert, und im nächsten Moment schon sauste er durch das Maisfeld wie ein weißschwänziges Reh, über dessen Rumpf sich die blutige Klauenspur des Berglöwen zieht. Jeremy war ein großartiger Läufer, so flink und geschmeidig und behende wie jene furchtlosen Häuptlinge, die er zu seinen Ahnen zählte. Immerhin war er Mohonks Sohn, und mochte sein Vater auch ein degenerierter Abtrünniger gewesen sein, eine Schande für seinen Stamm, sein Sohn war dennoch ebenso vertraut mit den Hügeln und Tälern der Gegend wie die Bären, Wölfe und Salamander, und ein Läufer der Spitzenklasse war er außerdem. Also rief Jeremy Mohonk – der Sohn von Mohonk, dem Sohn von Sachoes – die Geister seiner Ahnen an und gab Fersengeld: mit weiten Sätzen seiner spindeldürren Beine und unter wildem Arbeiten der spindeldürren Arme flitzte er quer durch das Feld zum rettenden Wald.
    Womit er nicht gerechnet hatte, das war die Hartnäckigkeit von van den Post, dem Quallenfresser. Ohne einen Gedanken auf Wouter zu verschwenden, schleuderte der hypermotorische schout Hut und Rapier beiseite und hetzte hinter Jeremy her wie ein Jagdhund. Am Anfang lagen zwanzig Schritte zwischen ihnen, und es waren noch immer zwanzig Schritte, als zuerst der Indianer, dann der schout weit hinten am Feldrand im Wald verschwanden.
    Wouter blickte sich um. Hinter ihm kletterte jetzt die Sonne über die Bergkette und drängte die Schatten zurück, verschlang sie geradezu. Er beobachtete, wie ein Schwarm Schwarzdrosseln – maes dieven – sich wieder in dem Maisfeld niederließ, durch das Jeremy und van den Post ihre Schneise geschlagen hatten, dann starrte er auf das Rapier und den Hut mit der Silberfeder,

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