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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gewesen.
    Er wollte sich gerade nach Ursache und tieferem Grund ihrer Verfassung erkundigen, vielleicht war dies eine Möglichkeit, sich ihr zu nähern, mit ihr zu fühlen, die Kluft zwischen den Generationen zu überbrücken, als sie sich eine Zigarette anzündete, ihm den Rauch ins Gesicht blies und fragte: »Irgendwas Interessantes in dem Käseblättchen heute?«
    Auf einmal fühlte er sich gedemütigt, müde, fassungslos angesichts des Großen Welträtsels. In seinem friedfertigsten Ton, den er sonst nur bei Sitzungen der Van Wartville Historical Society verwendete, antwortete er: »Ja, heute steht tatsächlich etwas darin. Ganz unten auf der letzten Seite. Etwas über den Sohn eines Mannes, den ich früher einmal kannte – ein ziemlicher Pechvogel. Er hat einen Unfall gehabt. Komisch, weil –«
    »Ach, wen kümmert’s denn?« knurrte sie, stieß sich vom Tisch ab und knüllte die Zeitung mit der freien Hand zusammen. »Wen interessieren schon deine beschissenen Kumpel? Das sind sowieso bloß alles Typen von der John Birch Society und solchen Faschistenklubs.«
    Jetzt hatte sie es geschafft. Jenes Verlangen, sie zu schütteln und einen Funken von Bewußtsein in ihre blasierte, leblose Miene hineinzuprügeln, packte ihn wie mit Klauen. Er sprang in die Höhe. »Sprich nicht so mit mir, du, du ... Sieh dich doch einmal an!« stammelte er und legte mit einer bombastischen Tirade los, die ihre Gesinnung, ihr Benehmen und ihre Gewohnheiten, von der dröhnenden Urwaldmusik bis hin zu ihren ungewaschenen, unrasierten Gesinnungsgenossen, als hippiehaft brandmarkte und in einer Philippika über einen dieser Genossen insbesondere endete, den jungen Crane. »Dieser klapperdürre, schmutzige, ungesunde ...«
    »Du bist ja bloß sauer, weil sein Opa dir sein schönes Grundstück nicht verkaufen will, oder?« Sie zerteilte die Luft mit der Handkante, unbarmherzig und unnachgiebig wie ein Galgenrichter. »An was anderes kannst du gar nicht denken, was? An die Vergangenheit und an Geld!«
    »Hippie!« zischte er. »Nutte!«
    »Snob. Dreckfresser.«
    »Verflucht!« brüllte er. »Ich wollte mich nur mit dir unterhalten, zur Abwechslung mal nett sein. Sonst gar nichts. Ich hab seinen Vater gekannt, den von dem jungen Van Brunt, das ist alles. Wir sind doch zwei menschliche Wesen, oder? Vater und Tochter. Die sich unterhalten, oder? Also, ich hab diesen Mann gekannt, sonst nichts. Und ich fand es eben eine Ironie des Schicksals, auf morbide Weise interessant, als ich gelesen habe, daß sein Sohn den rechten Fuß verloren hat.«
    Mardis Miene hatte sich verändert. »Wie soll der geheißen haben?« fragte sie und bückte sich nach der Zeitung.
    »Van Brunt. Truman. Oder nein, der Sohn heißt anders mit Vornamen. William oder Walter oder so ähnlich.«
    Sie hockte auf den Knien, glättete die Zeitung auf den dreihundert Jahre alten Dielen des Küchenbodens. »Walter«, murmelte sie und las dann laut vor: »Walter Truman Van Brunt.«
    »Kennst du den?«
    Der Blick, den sie ihm zuwarf, war wie ein Schwerthieb. »Nicht im biblischen Sinne«, sagte sie. »Noch nicht jedenfalls.«

PROTHESE
    Walter hatte Glück.
    Zwei Wochen nach seinem Zusammenstoß mit der Geschichte verließ er das Peterskill Community Hospital mit einem neuen fleischfarbenen Kunststoff-Fuß, einer Gemeinschaftsproduktion der Doktoren Ziss und Huysterkark, der Pensacola-Assekuranz und von Hesh und Lola. Dr. Ziss war, nach drei kraftvollen morgendlichen Tennissätzen, in die Notaufnahme gerufen worden, um die sachgemäße Wundversorgung zu übernehmen. Er entfernte das zerstörte Gewebe, rundete die Stümpfe von Tibia und Fibula sauber ab, zog zwei Haut- und Muskellappen zur Polsterung nach unten und vernähte sie über den Knochen, wobei eine fischmaulförmige Mulde entstand. Am Nachmittag war Dr. Huysterkark erschienen, um Hoffnung zu spenden und die Prothese vorzuführen. Die Versicherung kam, unter Beteiligung von Hesh und Lola, für die Rechnung auf.
    Walter döste, als Huysterkark hereinkam; im Aufwachen sah er ihn auf der Kante des Besucherstuhls hocken, den Plastikfuß im Schoß. Vom schütteren Haar und dem gezwungenen Lächeln des Arztes wanderten Walters Blicke sofort zu der Prothese, zur hervortretenden Rundung des Knöchels und den Kerben, die wohl die Zehen andeuten sollten. Das Ding sah aus wie etwas, das man einer Schaufensterpuppe ausgerissen hatte.
    »Ah, Sie sind wach«, sagte der Arzt, der dabei kaum die dünnen, lachsrosa Lippen bewegte. Er trug

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