World's End
ein Freizeitjackett und zweifarbige Schuhe und wirkte wie jemand, der Eis an Eskimos verkaufen könnte. »Gut geschlafen?«
Walter nickte mechanisch. In Wirklichkeit hatte er geschlafen wie ein Häftling, der auf seine Hinrichtung wartet, verfolgt von irrationalen Ängsten und den Dämonen des Unbewußten.
»Ich habe die Alloplastik mitgebracht«, sagt Huysterkark, »und außerdem« – er fing an, in einem dicken Umschlag herumzusuchen – »noch etwas Material darüber.«
Obwohl Walter an der New York State University erfolgreich ein Studium der Geisteswissenschaften absolviert hatte (in dem ein bruchstückhafter Abriß der Weltliteratur, ein Seminar über Beschneidungsrituale auf den Trobriand-Inseln und Vorlesungen über die Geschichte der Landwirtschaft, mittelalterlichen Lautenbau und zeitgenössische Philosophie, mit Schwerpunkt auf Todessehnsucht und der existentialistischen Schule, nur einige der Glanzlichter darstellten), kannte er diesen Begriff nicht. »Alloplastik?« echote er, den Blick starr auf den künstlichen Fuß geheftet. Auf einmal ergriff ihn panisches Entsetzen. Dieser obszöne Kunststoffklumpen, dieser Puppenfuß sollte auf irgendeine scheußliche Weise seinem eigenen, leidenden Ich aufgepfropft werden. Er dachte an Captain Ahab, an Long John Silver, an den alten Joe Crudwell ein paar Häuser weiter, dem eine deutsche Granate im Wald von Belleau beide Beine und den rechten Unterarm abgetrennt hatte.
Konzentriert auf seine Broschüre, blickte Huysterkark nicht einmal auf. »Ein Ersatzteil, eine Prothese. Auf griechisch: fremdes Gebilde.«
»Und das da ist es?«
Huysterkark beachtete die Frage nicht, warf Walter jedoch einen listigen Blick zu. »Sehen Sie die Sache mal so«, sagte er nach einer Weile. »Wenn Ihr Körper nun eine Maschine wäre, Walter – sagen wir, ein Auto, ja? Sagen wir, Sie wären ein Cutlass Convertible, okay? Schnittig, blitzblank, direkt aus dem Schaufenster des Händlers.« Walter wußte nicht, was er sagen sollte. Er wollte nicht über Autos sprechen – er wollte über Füße, über Beweglichkeit, über den Rest seines Lebens sprechen. »Vermutlich würden Sie jahrelang ohne Probleme laufen, Walter, doch während Ihr Tacho immer mehr anzeigt, wird früher oder später irgend etwas kaputtgehen, verstehen Sie?« Huysterkark beugte sich vor. »In Ihrem Fall, sagen wir mal so, gibt es einen Schaden an einem der Räder.«
Walter versuchte vergeblich, dem Blick des Arztes standzuhalten. Er betrachtete seine Hände, die Ärmel des Krankenhaushemds, die Falten im Laken.
»Tja, und was machen Sie dann? Na?« Huysterkark wartete. Der Fuß lag wie ein Stein in seinem Schoß. »Sie gehen rüber ins Ersatzteillager und holen sich ein neues, ist doch klar.« Der Doktor schien zufrieden mit sich zu sein, er sah aus, als hätte er soeben ein Allheilmittel gegen Krebs, Herzkrankheiten und Frambösie vorgestellt. »All das haben wir hier, Walter«, sagte er mit einer ausladenden Handbewegung, die das ganze Krankenhaus umfaßte. »Augen, Beine, Kniescheiben, Plastikherzklappen und Stahlwirbel. Wir haben mechanische Hände, die eine Grapefruit schälen können, Walter. In ein paar Jahren wird es künstliche Nieren, Lebern, Herzen geben. Vielleicht können wir eines Tages sogar schadhafte Nervenverbindungen im Gehirn ersetzen.«
Walter stockte der Atem. Er konnte kaum die Frage formulieren, und es schien ihm beinahe verwerflich, sie zu stellen, aber er mußte es wirklich wissen. »Kann ich – ich meine, werde ich – werde ich je wieder gehen können?«
Der Arzt fand das überaus erheiternd. Sein Kopf fuhr in den Nacken, und er setzte ein noch breiteres Grinsen auf, das ein Trio gelber Zähne und mayonnaisefarbenes Zahnfleisch entblößte. »Gehen?« prustete er. »Ehe Sie sich’s versehen, werden Sie wieder tanzen!« Dann senkte er den Kopf, schlug die Beine übereinander und suchte wieder in seinen Papieren herum; dabei rutschte ihm der Fuß vom Schoß, fiel mit dumpfem Knall zu Boden und kullerte unter den Stuhl. Er schien es nicht zu bemerken. »Ah, hier«, sagte er und zog ein Foto von einem Mann in Shorts und Turnschuhen heraus, der auf einer Asphaltstraße joggte. Das Bein des Mannes endete etwa fünfzehn Zentimeter unter dem Knie, und von dort weg führte ein Stahlstab zu einem fleischfarbenen Knöchel aus Plastik. Das Ganze wurde von mehreren am Oberschenkel angebrachten elastischen Bändern gehalten. »Ya Drang, Vietnam«, sagte der Doktor. »Eine unglückliche
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