Worldshaker
seinen wildesten Träumen nicht vorstellen können. Er sprang zur Seite und wich Sir Mormus’ tapsigem Angriff mühelos aus. Sir Mormus polterte gegen das Podest und fiel vornüber. Im Fallen griff er nach Königin Victorias Beinen. Prinz Albert sprang sofort auf: »Nehmen Sie Ihre Hände von der Königin!«
Aber Sir Mormus hörte nichts mehr. Er versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, indem er sich an den Falten ihres Kleides hochzog.
Prinz Albert setzte seinen Fuß gegen Sir Mormus’ Schulter und schob ihn fort. Sir Mormus taumelte rückwärts und nahm dann wieder eine aufrechte Haltung ein.
»Fort mit Ihnen!«, befahl Prinz Albert.
Sir Mormus starrte ihn ungläubig an, entrüstet. »Erzählen Sie mir nicht, was ich zu tun habe! Sie – Sie Galionsfigur!«
Die Königin richtete sich auf. »Das reicht, Sir Mormus. Sie sprechen mit meinem Mann, mit dem Mann, den ich liebe. Sie haben ihn mit ›Eure Königliche Hoheit‹ anzureden.«
Sir Mormus’ Fassade aus Etikette und Korrektheit war dahin. »Kommen Sie nur nicht auf die Idee, Sie könnten Entscheidungen für den Worldshaker treffen. Dazu fehlt Ihnen der nötige Grips!«
Königin Victorias entschlossene Würde stand in sonderbaren Kontrast zu Sir Mormus’ Getobe. »Würden Sie bitte wegtreten, Oberbefehlshaber.« Dann wandte sie sich an die beiden Wachen. »Sorgen Sie bitte dafür, dass Sir Mormus zehn Schritte Abstand zu diesem Podest hält. Er wird sich in Geduld üben müssen, bis ich wieder von ihm hören will. Falls ich wieder von ihm hören will.«
Die Männer rückten vor, um ihrem Befehl nachzukommen. Als Sir Mormus das sah, gab er einen unartikulierten Laut von sich. Er hatte jetzt etwas von einem Irren und nichts mehr gemein mit der unerschütterlichen, gebieterischen Figur aus Cols Kindheit. Er zog sich freiwillig zurück, ehe die Wachen zu ihm herantreten konnten.
Königin Victoria lehnte sich wieder zu Col vor. »Bitte fahr fort mit dem, was du mir sagen wolltest.«
71
Mittlerweile hatte sich eine große Menschenmenge um das Podest versammelt. Sir Wisley Squellingham, Konteradmiral Haugh und der Erste Steuermann Turbot waren herbeigeeilt, um den stürmischen Ereignissen aus nächster Nähe beizuwohnen. Das galt auch für Professor Twillip und Septimus. Dass der weder Jacke noch Schuhe trug, bemerkte im allgemeinen Trubel niemand.
Col erzählte Königin Victoria, wie die Dreckigen die Versorgungsschütte hochgeklettert waren und sich Deck für Deck nach oben gekämpft und schließlich die Waffenkammer eingenommen hatten. Weiter erzählte er von all den Gewehren, die sie dort erbeutet hatten und dass einige ihrer Führer alle Menschen auf den Oberdecks ausnahmslos töten wollten. Er betonte zwar nicht sonderlich, welche Rolle er selbst bei alledem gespielt hatte, aber leugnen tat er es auch nicht.
»Jetzt oder nie«, sagte er. »Befehlen Sie die Kapitulation, oder das Morden lässt sich nicht mehr aufhalten.«
»Aber ich verstehe das nicht.« Königin Victoria schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht – ihre schwere Krone setzte ihr arg zu. »Das hört sich so an, als ob diese Dreckigen alles sehr gut organisiert hätten. Und dann auch noch schießen lernen. Ich hatte immer gedacht, sie wären eher wie … nun, wie Tiere.«
»Nein, die haben ganz und gar nichts von Tieren.« Dabei wandte sich Col an Squellingham, Haugh und Turbot. »Das wissen sogar die Mitglieder Ihrer Exekutivkammer besser.«
»Vielleicht nicht wie Tiere«, sagte Turbot. »Aber kaum wie Menschen.«
»Doch, das sind sie!«, rief eine Stimme.
Septimus trat vor, offensichtlich selbst ganz verblüfft von seiner Kühnheit.
Prinz Albert runzelte die Stirn. »Wer ist das?«
Professor Twillip trat ebenfalls hervor, um Septimus Schützenhilfe zu leisten. »Ein bescheidener Gelehrter und Forscher, Hoheit.« Er verbeugte sich. »Wie auch ich. Wir haben die geschichtlichen Ursprünge der Dreckigen erforscht und können beweisen, dass sie dieselbe Spezies sind wie wir. Die Trennung liegt keine zweihundert Jahre zurück.«
»Das höre ich heute zum ersten Mal«, sagte Königin Victoria.
»Beginnen Sie ganz am Anfang«, sagte Col.
Also begannen Professor Twillip und Septimus am Anfang. Sie ließen sich über die Alte Heimat aus, die Französische Revolution und den Beginn des Fünfzigjährigen Krieges. Seit ihrem letzten Gespräch mit Col hatten sie neue Fakten ausgegraben, über riesige Gefangenenlager, in denen die Dreckigen nach der Schlacht von Crawley interniert
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