Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Barock bis Klassik
Wackenroder wieder, der bereits mit ihm das Friedrichwerdersche Gymnasium besucht und anschließend in Erlangen ein Jurastudium begonnen hatte. Als Sohn eines hohen preußischen Beamten konnte Wackenroder Tieck auch Zugang zu Gesellschaftskreisen verschaffen, die ihm sonst versperrt geblieben wären.
›Nichts ist so bequem, als etwas zu glauben, das ein anderer meint, und dieser hat gewöhnlich seine Meinung auch nur vom Hörensagen.‹
Ludwig Tieck
Ein gemeinsames Sommersemester der beiden Freunde in Erlangen sowie viele Reisen und Wanderungen durch Franken brachten Tieck 1793 die süddeutsche und katholische Kultur, die altdeutsche Kunst und die ländliche Natur näher. Der nach Tiecks Rückkehr nach Göttingen im Herbst des Jahres einsetzende Briefwechsel mit Wackenroder zählt zu den wichtigsten Dichterkorrespondenzen der Frühromantik. Mit der zeitgenössischen Ästhetik setzte sich Tieck im selben Jahr in dem Aufsatz »Über Shakespeare’s Behandlung des Wunderbaren« auseinander.
IN DEN BERLINER UND JENAER SALONS
1794 brach Tieck das Studium ab und kehrte nach Berlin zurück. Er hatte sich für die Laufbahn eines freien Schriftstellers entschlossen – ein Entschluss, der ihm die Unterstützung des Vaters entzog und ihn häufig in Geldnot brachte. Das kulturelle Leben der preußischen Hauptstadt öffnete sich ihm in Form literarischer Salons, die von sensiblen und hochgebildeten Frauen geführt wurden, etwa von Henriette Hertz, Rahel Levin (seit 1814 Rahel Varnhagen) und Dorothea Veit. Im Hause Veit machte Tieck um 1797 die für seine Zukunft bedeutsame Bekanntschaft mit den Brüdern Friedrich und August Wilhelm Schlegel. Für den Augenblick noch wichtiger aber war das Zusammentreffen mit dem von der Spätaufklärung geprägten Verleger Friedrich Nicolai, da dieser ihm Publikationsmöglichkeiten bot, als die in die Berliner Zeit fallende, literarisch äußerst fruchtbare Schaffensperiode Tiecks begann. Um nur wenige Beispiele zu nennen: 1795/96 verfasste er den Roman »Peter Lebrecht«; 1796 vollendete er seinen umfangreichsten Roman »Die Geschichte des Herrn William Lovell«, ein Buch voller Liebesabenteuer, Intrigen und Übeltaten, in denen sich der Titelheld in einer brüchig gewordenen Wirklichkeit mit wechselnden Rollen identifiziert. Zudem arbeitete er 1794 an Rambachs »Berlinischem Archiv der Zeit und ihres Geschmacks«sowie ab 1795 drei Jahre an den von Nicolai publizierten »Straußfedern«, einer auf moralisierender Unterhaltung und Bearbeitungen englischer und französischer Vorlagen ausgerichteten Sammlung mit. Tieck selbst veröffentlichte darin 13 Erzählungen, noch im Stil der Spätaufklärung geschrieben, die mit ihrer ironischen Darstellungsweise die moderne soziale Satire begründeten.
»FRANZ STERNBALDS WANDERUNGEN»
Über Tiecks bekanntesten Roman »Franz Sternbalds Wanderungen« schrieb der keineswegs zu Lobhudeleien neigende Friedrich Schlegel an seinen Bruder August Wilhelm: »Lies nur ja den Sternbald – noch einmal hätte ich bald gesagt. Aber hast Du ihn auch schon ordentlich gelesen? Es ist ein göttliches Buch, und es heißt wenig, wenn man sagt, es sei Tiecks bestes. … Es ist der erste Roman seit Cervantes, der romantisch ist, und darüber weit über Meister [Goethes ›Wilhelm Meister‹].«
In dieser »altdeutschen Geschichte« von 1798, einem fragmentarischen Bildungsroman über Künstlertum und Kunstverständnis der Romantik, reist der junge Franz Sternbald, ein schwärmerischer Schüler Albrecht Dürers, über Holland und Straßburg nach Florenz und Rom. Er besucht die Kunstzentren des 16. Jahrhunderts und führt Gespräche über Malerei, Musik sowie das Dasein als Künstler; und er sucht nach seiner Jugendliebe Marie. Anders als Goethes Wilhelm Meister erlebt Sternbald keine Entwicklung; er bleibt der sehnsuchtsvolle Träumer, der er immer war.
Die Episoden der Handlung werden von Erzählungen, Gedichten und Liedern begleitet. In den Landschaftsschilderungen, die die romantische Malerei maßgeblich beeinflussten, wird eine romantische Kunstkonzeption dichterisch formuliert: die Unendlichkeitssehnsucht, als deren allegorische Entsprechung die Landschaft gilt.
Die Jahre, die Tieck bis 1801 in Berlin und in Jena verbrachte, fielen in die kurze, aufregende Blütezeit der Frühromantik, in der insbesondere Jena zum Mittelpunkt des deutschen Geisteslebens avancierte. »Man geht hier nicht aus«, schrieb Dorothea Veit, »oder man hört von ›Wilhelm Meister‹,
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