Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
durch ein ausschweifendes Leben. Er begann 1844 eine zusätzliche Liaison mit Léonie Biard, der Frau eines Malers. Erstaunlicherweise billigten sowohl seine Frau als auch Juliette diese weitere Geliebte. Zu dieser Zeit arbeitete Hugo an einem großen Unterhaltungsroman mit dem Titel »Die Elenden«. Vorbild war Eugène Sues 1842/43 erschienener Roman »Die Geheimnisse von Paris«. Die wichtigste Anregung für beide waren die 1828/29 herausgekommenen Memoiren von François Vidocq, einem zwielichtigen Militär, der am Aufbau der Geheimpolizei mitgewirkt hatte.
Nach den Unruhen in Paris dankte Louis-Philippe am 24. Februar 1848 ab. Hugo begann sich verstärkt in der Politik zu engagieren, insgesamt jedoch eher mit geringerem Erfolg. Neben seinem andauernden Kampf gegen die Todesstrafe ist besonders sein Engagement für die Pressefreiheit bemerkenswert. Victor Hugo besaß ohne Zweifel die Fähigkeit, in wohlgesetzte Worte zu fassen, was viele seiner Mitmenschen bewegte. Louis Bonaparte, der Neffe Napoleons I., bat ihn sogar um die Unterstützung seiner Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen. Obwohl Hugo 1849 als Kandidat der Rechten in die Nationalversammlung gewählt wurde, entfernte er sich immer weiter von der konservativen Politik Louis Bonapartes. Als dieser 1851 putschte, weil die Beschränkung der präsidialen Amtszeit nicht aufgehoben wurde, musste Victor Hugo am 11. Dezember nach Belgien fliehen. Zusammen mit 65 weiteren Abgeordneten wurde er aus Frankreich verbannt.
›Zu glauben ist schwer, nichts zu glauben ist unmöglich.‹
Victor Hugo
DIE ZEIT IM EXIL
Hugo lebte zunächst sieben Monate mit Sohn Charles und Juliette Drouet in Brüssel. Hier begann er mit dem neuen französischen Kaiser abzurechnen: Er schrieb die Schmähschrift »Napoléon der Kleine«, arbeitete an einer »Geschichte des Verbrechens« (die er jedoch erst 1877/78 veröffentlichte) und besang die »Züchtigungen« (»Les châtiments«, 1853). Nach der Veröffentlichung der Schmähschrift verließ Hugo Brüssel und die ganze Familie traf sich Anfang August auf Jersey. Während eines Besuches führte die Lyrikerin Delphine de Girardin, die einen literarischen Salon betrieb, Hugo in den Spiritismus ein. Diese neue »Erfahrung« regte seine Fantasie an, sodass der Symbolismus seiner Dichtungen stärker wurde und die Beschäftigung mit Religion zunahm. 1854 schrieb er an zwei umfangreichen Gedichtzyklen, an denen er Jahre später weiterarbeitete und die erst posthum erschienen sind (»Das Ende des Teufels«, 1886, »Gott«, 1891). Sie bilden eine Trilogie mit »Die Legende der Jahrhunderte«, worin Hugo unter dem Einfluss Dantes versuchte, im Durchgang durch die verschiedenen Zeitalter den menschlichen Fortschritt zu beschwören (drei Teile 1857, 1877, 1883). Antimonarchistische Äußerungen zwangen Hugo am 31. Oktober 1855 Jersey zu verlassen. Er ging nach Guernsey und erwarb am 16. Mai 1856 mit den Einnahmen der erfolgreichen »Contemplations« als Wohnsitz »Hauteville House«, das er in der Folgezeit selbst einrichtete. Die Geliebte logierte immer in erreichbarer Nähe. Mit den Worten: »Ich kehre zurück, wenn die Freiheit zurükkkehrt«, lehnte Hugo am 18. August 1859 eine Amnestie durch Napoleon III. ab. Einerseits gefiel er sich in der Rolle als Märtyrer, andererseits hatte er sich an die Landschaft gewöhnt und festgestellt, dass er hier mehr Zeit zum Schreiben fand als in der Stadt.
Am 26. April 1860 nahm Hugo die Arbeit an seinem Roman »Die Elenden« wieder auf. Das ursprüngliche Manuskript enthielt alle wesentlichen Aspekte der Handlung, nun fügte er auf Hunderten von Seiten Beschreibungen von Paris und historische Exkurse ein. 1862 kam das zehnbändige Werk heraus. Gustave Flaubert, der Hugo durchaus bewunderte, befand, es sei »nicht erlaubt, die Gesellschaft so falsch zu malen, wenn man der Zeitgenosse von Balzac und Dickens« sei. Hugo ging es jedoch nie um Realismus, sondern um die Wahrheit in einem religiösen und moralischen Sinn durch eine überspitzte Darstellung der Alltäglichkeit.
»DIE ELENDEN« – PLÄDOYER FÜR DIE SOZIAL UNTERDRÜCKTEN
Als ein Hauptwerk der sozialkritischen Schaffensperiode im Spätwerk Victor Hugos gilt der 1862 erschienene Roman »Les misérables« (»Die Elenden«). In ihm wird das Schicksal des in jungen Jahren wegen einer Bagatelle zu 20 Jahren Haft verurteilten Jean Valjean nach seiner Freilassung und seinem Versuch, den Weg zurück in die Gesellschaft zu finden,
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