Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
Hall«; Emily »Sturmhöhe«
1855/1848/1849
Tod von Charlotte/Emily/Anne Brontë in Haworth bzw. Scarborough (Anne)
Der Vater der drei Schwestern war der Methodistenpfarrer Patrick Brontë, der eigentlich Brunty hieß und 1777 in Drumballoney in Nordirland geboren wurde. Nach seiner Hochzeit mit der aus Cornwall stammenden Maria Branwell wurden in rascher Folge sechs Kinder geboren: Maria, Elizabeth, Charlotte (21. April 1816), Patrick Branwell, Emily Jane (30. Juli 1818) und Anne (17. Januar 1820). Kurz nach der Geburt des letzten Kindes erkrankte seine Frau schwer und starb noch im selben Jahr, worauf ihre Schwester Elizabeth Branwell aus Cornwall gerufen wurde, um fürs Erste die sechs Kinder zu versorgen. Tante Elizabeth blieb bis zu ihrem Tode 1842 im Pfarrhaus von Haworth und hinterließ ihren drei Nichten und einer vierten in Cornwall ihr kleines Vermögen von 1500 Pfund. In den zwanzig Jahren ihrer Haushaltsführung wuchsen unter ihrer Obhut die ungewöhnlichsten Geschwister der englischen Literatur heran, ohne dass sie selbst dergleichen bemerkt hätte.
1824 entschied der Vater, seinen ältesten Kindern eine solide Schulbildung zu ermöglichen. Er schickte zuerst Maria und Elizabeth, dann Charlotte und Emily nach Cowan Bridge, einer erzieherischen Treuhandstiftung für Töchter von Klerikern. Diese für damalige Verhältnisse fortschrittliche, aber schlecht geführte Schule grub sich in Charlottes Gedächtnis als Ort der Qual ein. Als beklemmendes Pensionat Lowood wird die Anstalt später in ihrem Roman »Jane Eyre« wiederkehren. Für die Brontë-Töchter wurde die Qual zur Katastrophe. Schon im ersten Schuljahr erkrankten Maria und Elizabeth schwer und starben kurz darauf. Obwohl nicht sicher ist, ob die damals als Auszehrung diagnostizierte Krankheit tatsächlich Tuberkulose war, spricht alles dafür, dass schon die ersten beiden Kinder dieser Geißel der Familie Brontë zum Opfer fielen.
Für Charlotte bedeutete der Verlust der beiden älteren Schwestern einen emotionalen Schock und zugleich einen tiefen Einschnitt in ihr Leben, da nun ihr selbst die Rolle der großen Schwester zufiel, die den jüngeren Geschwistern die Mutter ersetzen musste. Nach der Rückkehr ins Haus des Vaters schlossen sich die vier übrig gebliebenen Kinder immer enger zusammen. Der Vater versuchte ihre Erziehung ein wenig zu steuern, überließ sie aber bald ganz ihrem Lesehunger und ihrer Fantasie.
GOUVERNANTENSCHICKSALE
Für Frauen der Mittelschicht, die auf dem Heiratsmarkt weder eine Mitgift noch weibliche Reize anzubieten hatten, blieb im viktorianischen England nur eine einzige Möglichkeit, sich standesgemäß ihr Brot zu verdienen: Sie mussten Gouvernanten werden. Ein solches Los sahen auch die Brontë-Schwestern auf sich zukommen. Dazu benötigten sie eine ausreichende Bildung. Nachdem die Kinder fünf Jahre lang sich selbst überlassen waren, musste zumindest für die 14-jährige Charlotte an einen erneuten Schulbesuch gedacht werden. Mit der Wahl des Mädchenpensionats Roe Head taten die Brontës diesmal einen entschieden glücklicheren Griff. Miss Wooler, die Leiterin der Schule, war allseits beliebt, und Charlotte schloss sich eng an sie an. Noch zwei weitere lebenslange Freundinnen fand sie hier. Die eine war Mary Taylor, eine aufgeweckte, selbstbewusste Fabrikantentochter, die zweite Ellen Nussey; sie wurde Charlottes engste Freundin. Auch wenn die orthodox erzogene Ellen oft Mühe hatte, den kühneren Gedanken ihrer Freundin zu folgen, hielt sie ihr unverbrüchliche Treue und bewahrte 500 Briefe von ihr auf, die später zur Hauptquelle biografischer Information über die Schriftstellerin wurden.
DIE REICHE DER ZWÖLF SOLDATEN
Patrick Brontë brachte im Juni 1826 seinen Kindern eine Schachtel mit zwölf holzgeschnitzten Soldaten mit. Dies war das Samenkorn, aus dem zwei Reiche hervorgingen, die noch heute in der Literaturgeschichte weiterleben. Die Kinder stürzten sich sogleich auf die Figuren, teilten sie untereinander auf und gaben ihnen Namen. Aus den Namen wurden Geschichten und aus den Geschichten eine eigene Welt, in der sich die Kinder bewegten wie in einer zweiten Wirklichkeit.
Anfangs nannten sie die Hauptstadt ihres an der Westküste Afrikas angesiedelten Reiches Glasstown oder auf Griechisch Verdopolis, und sie malten sich ihre Orte nach dem Vorbild der apokalyptischen Visionen des Malers John Martin aus, dessen Grafiken damals in Mode gekommen waren. 1834 gründeten die beiden Älteren dann
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