Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
Mäßigung bemühten und dabei »offizielles« Material mit Frontbriefen und Lazarettberichten vermischten, stellten für die zunehmend nationalistische Öffentlichkeit keine geringe Provokation dar. Insbesondere gilt dies für Fontanes frankophiles autobiografisches Buch über seine zweimonatige Kriegsgefangenschaft »Kriegsgefangen« von 1871, in die er als mutmaßlicher Spion im Oktober 1870 geraten war, als er sich für einen Besuch des Denkmals der Jeanne d’Arc zwischen die Frontlinien begeben hatte. Freigekommen durch Bismarcks persönliche Intervention und zurück in Berlin, arbeitete Fontane in den folgenden 20 Jahren als Theaterreferent für die liberale »Vossische Zeitung«. Dies war mehr als eine neue Tätigkeit. Es bedeutete den nun konsequenten und kritischen Aneignungsprozess der dramatischen Tradition von Shakespeare über Lessing, Goethe, Schiller, Kleist, Tieck bis Hauptmann. Begleitet wurde er von einer ebenso intensiven Auseinandersetzung mit dem deutschen und europäischen Roman, vertreten beispielsweise von Scott, Balzac, Flaubert, Zola, Goethe, Alexis, Keller, Storm, Freytag oder Spielhagen. Vor der Folie dieser literarischen Tradition einerseits und vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung des Kaiserreichs andererseits wurde Fontane nun endlich Romanautor: Im Jahr 1876, als sich unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise eine konservative Wende in der Politik abzuzeichnen begann, verzichtete er nach nur kurzer Dienstzeit auf die aussichtsreiche Prestigestelle als Erster Sekretär der Akademie der Künste und nahm die Arbeit an seinem historischen Roman »Vor dem Sturm« wieder auf. Seine auch gesellschaftlich immer stärker reduzierte Berliner »Mauselochexistenz« unterbrach er nur noch für regelmäßige, gesundheitlich nötige Sommerreisen und verfasste in den folgenden 22 Jahren neben seiner Alterslyrik, weiteren Wanderungsbänden und den Autobiografien insgesamt 17 Romane und Novellen, darunter »L’Adultera« (1882), »Schach von Wuthenow« (1883), »Cécile« (1887), »Irrungen, Wirrungen« (1888), »Unwiederbringlich« (1892) und »Der Stechlin« (posthum 1899). Mit ihrer illusionslosen Diagnose der modernen Realität waren Fontanes Romane »moralisch« und ästhetisch provokant genug, um, ausgenommen »Frau Jenny Treibel« (1892) und »Effi Briest« (1895), beim breiten Publikum erfolglos zu bleiben.
›Im Grunde habe ich nun alles Irdische erreicht: geliebt, geheiratet, Nachkommenschaft erzielt, zwei Orden gekriegt und in den Brockhaus gekommen. Es fehlt nur noch zweierlei: Geheimer Rat und Tod. Des einen bin ich mir sicher, auf den andern verzicht ich allenfalls.‹
Fontane
Zur Ikone Preußendeutschlands gemacht, starb Fontane, Ehrendoktor der Berliner Universität, Schillerpreisträger und Ritterkreuzträger des Hohenzollernhausordens, am 20. September 1898 in Berlin.
FJODOR MICHAILOWITSCH DOSTOJEWSKIJ
MYSTISCH-BESESSENER VISIONÄR
Fjodor Michailowitsch Dostojewskij verschrieb sein Leben der Literatur und gilt als einer der größten russischen Schriftsteller. Doch der geniale Literat hatte oft mit finanzieller Not und den Zwängen seiner Zeit zu kämpfen. Erst kurz vor seinem Tod erlangte er schließlich öffentliche Anerkennung für sein Wirken.
11. 11. 1821
Geburt in Moskau
ab 1844
Freier Schriftsteller und Revolutionär
1849
Todesurteil; Begnadigung zu einer Zuchthausstrafe in Sibirien
1859
Rückkehr nach Sankt Petersburg
seit 1860
zweite Schaffensphase
9. 2. 1881
Tod in Sankt Petersburg
Fjodor Michailowitsch Dostojewskij wurde am 11. November 1821 (30. Oktober 1821 nach dem julianischen Kalender) als zweiter Sohn des Arztes Michail Dostojewskij in Moskau geboren. Er wuchs in wirtschaftlich bescheidenen, aber kultivierten Verhältnissen auf und erhielt eine sorgfältige Erziehung, die von orthodox-kirchlicher, aber nicht engherziger Frömmigkeit geprägt war. Dostojewskij lernte Französisch, Deutsch und Latein und interessierte sich von früh auf für die russische Literatur, die damals, in den 1820er- und 30er-Jahren in den Werken Wassilij A. Schukowskijs und Aleksandr S. Puschkins zu ihrer ersten hohen Blüte gelangte. Durch die Übersetzungen Schukowskijs lernte er die klassische deutsche Literatur kennen (Goethe, Schiller, später E. T. A. Hoffmann); die Schule vermittelte ihm Kenntnisse der antiken und der klassischen französischen Literatur.
Im Mai 1837 kam Dostojewskij zusammen mit seinem um ein Jahr älteren Bruder
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