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Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus

Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus

Titel: Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brockhaus
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nach Sankt Petersburg, wo er gemäß dem Willen des Vaters die Militäringenieurschule besuchte. Die meisten Fächer, die hier gelehrt wurden, interessierten ihn nicht, der militärische Drill stieß ihn ab. Trotzdem schloss er die Ausbildung im Jahre 1843 ab und wurde als Unterleutnant in den aktiven Militärdienst übernommen.
    Schon während der Ausbildungs- und Dienstzeit galt Dostojewskijs Hauptinteresse der Literatur. Besonders zogen ihn die deutsche und die französische Gegenwartsliteratur an, vor allem E.T.A. Hoffmann, George Sand, Honoré de Balzac, Eugène Sue. Um sich ganz der literarischen Arbeit widmen zu können, gab er schon nach einem Jahr den Militärdienst, der ihm eine sichere Existenzgrundlage gegeben hätte, auf und wurde zu einem (wie er selbst sagte) »literarischen Proletarier«, der von dem Erlös seiner schriftstellerischen Arbeiten leben musste und fast sein ganzes Leben lang unter manchmal katastrophaler Geldnot leiden sollte.
    Noch vor seiner Entlassung aus dem Militärdienst hatte er einen Roman geschrieben, den er noch drei Mal umarbeitete, ehe er im Mai 1845 das Manuskript aus der Hand gab. Dieses Erstlingswerk des 23-Jährigen, die »Armen Leute«, wurde zu einem durchschlagenden Erfolg. Das Thema des Romans wird – wie schon im Titel ausgesprochen – eines der Hauptthemen Dostojewskijs, das der »Erniedrigten und Beleidigten«.
    POLITISCHE AKTIVITÄT, ZUCHTHAUS UND MILITÄRDIENST
    In rascher Folge erschienen nun weitere Erzählungen Dostojewskijs. Ihr Hauptthema ist der Mensch, der unter den gegenwärtigen Bedingungen des Lebens in einer inhumanen Stadt und einer streng hierarchisch geordneten, bürokratisch reglementierten Gesellschaftsstruktur in seinem Menschsein gefährdet ist. Das Bewusstsein, dass die gegenwärtige Situation des Menschen nicht so ist, wie sie sein sollte und wohl auch sein könnte, führte Dostojewskij in radikal aufklärerische Kreise, wo soziale Reformen und bald auch die soziale Revolution gefordert und vorbereitet wurden. Insbesondere gehörte der Schriftsteller zu dem Zirkel um den russischen Intellektuellen Michail W. Petraschewskij, der in einer Tischrede ausgerufen haben soll: »Wir verurteilen die bestehende Ordnung zum Tode!«. Dostojewskij war wohl auch bereit, an der Vollstreckung dieses Todesurteils teilzuhaben. Doch dazu kam es nicht. Denn wie alle übrigen Angehörigen dieses Kreises wurde der Dichter am Morgen des 5. Juni 1849 (23. April 1849) verhaftet und am 31. Dezember (19. Dezember) zu acht Jahren Zwangsarbeit verurteilt.
    STRAFVERBÜSSUNG IN SIBIRIEN
    Seit der Errichtung des ersten Lagers unter Zar Alexej 1649 diente Sibirien den russischen Herrschern als Gefängnis für Zwangsarbeiter und als Verbannungsort. Die ersten Deportierten kamen zu Fuß, unter Peitschenhieben berittener Kosaken. Viele starben noch auf dem Weg ins Lager und nur wenige Gefangene überlebten ihre Strafe überhaupt.
    Fjodor Dostojewskij leistete jahrelang Zwangsarbeit in Sibirien und verarbeitete seine Erlebnisse in seinen »Aufzeichnungen aus einem Totenhaus«.
    Neben der Zwangsarbeit war die Verbannung eine weitere Art der Bestrafung, bei der den Sträflingen ein Wohnort zugewiesen wurde, an dem sie arbeiten und mit ihren Ehefrauen leben durften.
    Zar Nikolaus I. milderte das Urteil auf vier Jahre, verfügte aber, dass Dostojewskij im Anschluss an die Verbüßung der Zuchthausstrafe als einfacher Soldat in die Armee einzureihen und vor Antritt der Strafe zusammen mit zwölf anderen Angeklagten zum Schein zur Hinrichtung zu führen sei. In der Frühe des 3. Januar 1850 (22. Dezember 1849) wurde diese grausame Komödie auf dem Semjonowskij-Platz in Sankt Petersburg aufgeführt. Eine Dreiviertelstunde lang lebte Dostojewskij in sicherer Erwartung des unmittelbar bevorstehenden Todes. Eine Woge des Glücks schlug über ihm zusammen, als ihm das Leben neu geschenkt wurde.
    In der Weihnachtsnacht 1849 wurde Dostojewskij dann mit zwei Schicksalsgefährten aus Sankt Petersburg abtransportiert. Der Transport nach Sibirien dauerte länger als einen Monat. Im Februar 1850 wurden sie ins Zuchthaus in Omsk eingeliefert. Hier verbrachte Dostojewskij vier überaus schwere Jahre. Obwohl er in diesen Jahren nichts hat aufzeichnen dürfen, hat er in seinem Gedächtnis ein einzigartiges Material gesammelt, das er später in seiner literarischen Schilderung dieser Zeit (»Aufzeichnungen aus einem Totenhaus«) und in seinen großen Romanen verwertet hat. In die Zuchthauszeit fallen

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