Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
Bühneninszenierungen. Für den Autor aber bedeutete »Brand« das Ende aller finanziellen Sorgen. Das norwegische Parlament bewilligte ihm zudem 1866 eine jährliche Dichtergage.
PEER GYNT
Der Erfolg von »Brand« verwandelte die Persönlichkeit Ibsens vom Bohemien zum selbstbewussten Nationaldichter, der sich den Bart abrasierte und üppige Koteletten wachsen ließ, die allgemein den Blick auf sich zogen. Seit 1867 war »Peer Gynt« in Arbeit, basierend auf jenen Sagenstoffen, die Ibsen während der erwähnten Studienreise gesammelt hatte. Im Schicksal Peer Gynts und in seinen Fluchten in Traumwelten verarbeitete er ein modernes Thema: den Übergang einer bäuerlichen Gesellschaft zur Industrialisierung. Das Stück ist kompliziert, halb Märchenspiel, halb Charaktertragödie, und nimmt Elemente des expressionistischen und absurden Theaters vorweg. Ibsen war lange Zeit überzeugt, »Peer Gynt« sei nicht auf die Bühne zu bringen. Erst als sich der Komponist Edvard Grieg bereit erklärte, eine Bühnenmusik zu schreiben, freundete er sich mit dem Gedanken an. Griegs Vertonung hat das Stück letztlich zwar bekannt und beliebt gemacht, es gleichzeitig aber in eine allzu romantische Ecke gedrängt.
STATIONEN DES RUHMS
1868 zog Ibsen nach Dresden. Er schrieb »Kaiser und Galiläer«, ein »weltgeschichtliches Schauspiel in zwei Teilen«, das er damals als sein Hauptwerk beurteilte. Die internationalen Ehrungen häuften sich. 1869 erhielt Ibsen vom schwedischen König seinen ersten Orden, im selben Jahr repräsentierte er Norwegen als Ehrengast bei der Eröffnung des Suezkanals. 1871 schloss er in Dresden Freundschaft mit dem bedeutenden dänischen Literaturkritiker Georg Brandes.
1874 hielt sich Ibsen erstmals wieder in seiner Heimat auf, allerdings nur für kurze Zeit. Im Anschluss daran bereitete er seinen Umzug nach München vor. In den ersten beiden Münchner Jahren nahm ein Stück Gestalt an, das zu den besten Leistungen Ibsens zählt: »Die Stützen der Gesellschaft«. Die radikale gesellschaftskritische Handlung spielt in einer kleinen norwegischen Küstenstadt. Das Stück brachte Ibsen den Durchbruch auf dem deutschen Theater. Auch frühere Werke von ihm kamen nun zur Aufführung. Dabei tat sich die fortschrittliche Theatergruppe hervor, die Herzog Georg II. von Meiningen gegründet hatte. Die Erfolgsgeschichte fand ihren Höhepunkt, als »Stützen der Gesellschaft« im Februar 1878 gleichzeitig an fünf Berliner Theatern zur Aufführung kam.
GEORG BRANDES
(* 1842, † 1927)
Ibsen lernte den dänischen Schriftsteller und Literaturhistoriker Georg Brandes 1871 in Dresden kennen. Nach Deutschland, wo er sich von 1877 bis 1883, meist in Berlin, aufhielt, war Brandes gegangen, weil sein öffentliches Eintreten für Meinungsfreiheit und Freiheit der Forschung in Dänemark dazu geführt hatte, dass ihm die regierenden Konservativen die erhoffte Professur vorenthielten.
Seine Lehre von der Verknüpfung von Gesellschaft, Leben und Literatur gab den Anstoß für die Blütezeit der skandinavischen Literatur, darunter auch Ibsens Dramen. Brandes’ in Kopenhagen gehaltene und viel beachtete Vorlesungen »Die Hauptströmungen der europäischen Literatur des 19. Jahrhunderts« (1872-1890) machten ihn zum Vorkämpfer des Realismus und Naturalismus und öffneten in Skandinavien den Blick für die europäische Literatur, unter anderem auch für Friedrich Nietzsche, über den Brandes 1888 als Erster in einer Universitätsvorlesung vor einem größeren Publikum bewundernd sprach.
1878 zog Ibsen erneut nach Rom. Die Familie quartierte sich in einer schönen Eckwohnung an der Via Due Macelli ein. Dort und in Amalfi, südlich von Neapel, entstand die Gegenwartstragödie »Ein Puppenheim«, die im deutschen Sprachraum unter dem Titel »Nora« berühmt wurde. Bald in alle Kultursprachen übersetzt, begründete das Stück Ibsens Weltruhm, die gefeiertsten Schauspielerinnen rissen sich um die Titelrolle, darunter auch Eleanora Duse.
München, Berchtesgaden und dann wieder Rom waren die nächsten Stationen eines zunehmend in den Blick der Weltöffentlichkeit gerückten Künstlerlebens. 1881 konzipierte Ibsen ein neues Drama: »Gespenster«, ein analytisches und enorm verdichtetes Stück, das zunächst zum Skandal und zum absoluten Misserfolg wurde. Bezeichnenderweise fand die früheste Aufführung nicht in Europa, sondern 1882 in Chicago statt, durch eine Laiengruppe. Erst ein paar Jahre später erkannte die Welt, dass Ibsen
Weitere Kostenlose Bücher