Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
Toten erwachen« die Auseinandersetzung mit sich selbst zu Ende. Zwei Jahre später zeigten sich ernste Symptome körperlichen Verfalls; 1901 erlitt Ibsen einen schweren Schlaganfall. Er erholte sich wieder, bis 1903 ein weiterer Schlaganfall und dann ein langes Dahinsiechen folgten. Am 23. Mai 1906 starb Ibsen in Kristiania.
LEW TOLSTOJ
LITERARISCHER ABGOTT EINER NATION
Seit den Tagen Voltaires und Goethes, seit dem 18. Jahrhundert, hat es nach Überzeugung vieler Kritiker keinen Autor seines Ranges gegeben. Seine belletristischen Arbeiten behaupten fast ausnahmslos einen Platz im Olymp der Meisterwerke. Seine Persönlichkeit geriet, schon zu Lebzeiten, zum Mythos. Und als Denker in sozialen und religiösen Fragen war Tolstoj stets darum bemüht, allgemeingültige Lebenswahrheiten aufzudecken.
9. 9. 1828
Geburt in Jasnaja Poljana (Tula)
1844–1447
Studium orientalischer Sprachen und der Rechtswissenschaften, ohne Abschluss
1851–1856
kämpft als Soldat im Kaukasus und auf der Krim
September 1862
Heirat
1881
übersiedelt für ein Jahr nach Moskau
20. 11. 1910
Tod in Astopowo
Die Tolstojs waren ein altes Adelsgeschlecht, das schon im Moskowitischen Reich eine Rolle gespielt hatte. Den erblichen Grafentitel erhielt Pjotr Andrejewitsch Tolstoj, ein enger Vertrauter Zar Peters I., des Großen, 1718, weil er den flüchtigen Zarensohn aus Neapel nach Russland zurückgelockt hatte, wo er liquidiert wurde. Lews Großvater Ilja ruinierte das Familienvermögen durch seine Verschwendungssucht, Lews Vater Nikolaj Iljitsch Tolstoj baute das Vermögen wieder auf, nicht zuletzt dadurch, dass er die einzige Tochter des reichen Fürsten Wolkonskij heiratete. Sie brachte das Herrenhaus und Gut Jasnaja Poljana in die Ehe, wo am 9. September 1828 Lew (Leo) Nikolajewitsch Tolstoj als das zweitjüngste von fünf Kindern zur Welt kam. Maria, die Mutter, war tief religiös, außergewöhnlich gebildet und sprach fünf Fremdsprachen. Sie starb 1830, etwa sieben Jahre später auch ihr Mann. Lew hielt es für möglich, dass er von einem leibeigenen Diener vergiftet wurde – heute glaubt man nicht mehr daran. Die Kinder wuchsen nach dem Tod ihrer Eltern bei Verwandten auf.
1841 starb der gesetzliche Vormund der Tolstoj-Kinder, die Gräfin Alexandra Osten-Saken, woraufhin eine andere Tante, Pelageja Juschkowa, zum neuen Vormund ernannt wurde. Sie nahm die Kinder in ihr Haus in Kasan, einer ehemals tatarischen Stadt an der mittleren Wolga, auf. Dort bereitete sich Lew auf den Eintritt in die Universität vor, doch er fiel 1844 durch die Aufnahmeprüfung. Im Herbst desselben Jahres wiederholte er die Prüfung erfolgreich. Von den orientalischen Sprachen wechselte er zur Juristerei, doch in beiden Fächern versagte er kläglich. 1847 gab er das Studium ganz auf und kehrte nach Jasnaja Poljana zurück, das nach der Teilung des Familienbesitzes samt Leibeigenen zu seinem persönlichen Eigentum geworden war.
EIN UNRUHIGES LEBEN
In Kasan war Tolstoj darauf bedacht, sich in das gesellschaftliche Leben der Stadt einzufügen. In dieser Zeit hatte er bereits begonnen, über den Sinn des Lebens und den Tod nachzugrübeln. All diese Gedanken hielt er in Tagebüchern fest. Moralische Vervollkommnung des Menschen und Verwirklichung ewiger sittlicher Wahrheiten bestimmten seine Weltanschauung und die Zielsetzung seines künftigen literarischen Schaffens. Dem Moralisten stand freilich der »lasterhafte«, der sinnlich exzessive Tolstoj gegenüber. Schon bei seinen ersten Liebesabenteuern in Kasan hatte er sich 1847 eine Geschlechtskrankheit, eine Gonorrhöe, zugezogen, die in der Klinik behandelt wurde. Vom Temperament her war er impulsiv und aufbrausend und ließ sich schnell zu extremen Gefühlsausbrüchen hinreißen. Seinen eigenen Worten zufolge war er stark »mit menschlichen Leidenschaften begabt«, darunter nicht zuletzt mit erotischen. Dementsprechend wechselte seine moralische Buchführung permanent zwischen edlen Vorsätzen und quälenden Selbstvorwürfen. Als er das Studium aufgab, tat er dies auch deswegen, um in Jasnaja Poljana ein neues, das hieß nützliches Leben zu beginnen, ein menschenfreundliches in dem Sinne, wie es auch das Idol seiner Jünglingszeit, der französische Aufklärer Jean-Jacques Rousseau, propagiert hatte.
Als der 19-jährige Tolstoj sein Landhaus bezog, gehörte es zu seinen Vorsätzen, sich nicht nur in der Landwirtschaft, in Naturwissenschaften, Musik oder Sprachen weiterzubilden, sondern auch seinen
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