Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
noch wichtiger waren jedoch die Briefwechsel, durch die er am Leben teilnehmen konnte. Selbst wenn er in der Arbeit seiner Romane nicht oder nur beschwerlich vorankam, fiel ihm das Schreiben von Briefen leicht. Auch mit George Sand, die er 1863 auf diesem Wege kennen gelernt hatte, unterhielt Flaubert einen langjährigen Briefwechsel. Der Umfang von Flauberts Korrespondenz hat vielfach Bewunderung erregt. Einen großen Teil seiner Briefe schrieb er nach der Arbeit an seinen Werken, vielfach in der Nacht.
In den 1870er-Jahren starben viele seine engsten Vertrauten, unter ihnen auch George Sand 1876 und bereits 1872 seine Mutter. Einen letzten entscheidenden Einschnitt in Flauberts Leben brachte ihm seine Nichte ein, deren Mann ein Handelsgeschäft mit skandinavischem Holz unterhielt, dem 1875/76 der Bankrott drohte. Flaubert verkaufte schließlich seinen Besitz in Deauville, um seine Lieblingsnichte vor dem Ruin zu bewahren; damit war er ein armer Mann. Vor der Vereinsamung bewahrten ihn junge Schriftsteller, die ihn als Meister des Wortes verehrten. Seine letzten Werke waren die 1877 fertig gestellten »Drei Erzählungen« (»Trois contes«) sowie der unvollendet gebliebene Roman »Bouvard und Pecuchet«. Gustave Flaubert erlitt am 8. Mai 1880 in Croisset an seinem Schreibtisch einen tödlichen Schlaganfall. Der große Romancier des 19. Jahrhunderts erhielt in Rouen seine letzte Ruhestätte.
HENRIK IBSEN
EIN »ZEITLOS TRAGISCHER DICHTER«
Wie vielleicht kein zweiter Dichter des 19. Jahrhunderts hat Henrik Ibsen die literarischen Möglichkeiten seiner Zeit ausgelotet, ohne sich dem nur Zeitbedingten hinzugeben: Den »zeitlos tragischen Dichter« nannte ihn folgerichtig 1910 Rainer Maria Rilke. Von national-romantischen Anfängen verfolgte Ibsen seinen Weg zum kritisch-realistischen Gegenwartsdrama, in dem er, lange vor Sigmund Freud, die Hauptpersonen einer Art Psychoanalyse unterzog.
20. 3. 1828
Geburt in Skien
1844–1850
Apothekerlehre in Grimstad
1851–1862
Theaterdichter und -leiter in Bergen und Kristiania
1864–1891
Aufenthalt im Ausland (unter anderem in Rom, Dresden, München)
23. 5. 1906
Tod in Kristiania (heute Oslo)
Henrik Ibsen wurde am 20. März 1828 in Skien geboren, einer Handelsstadt an der norwegischen Südküste mit rund 3000 Einwohnern. Er selbst schrieb 1881 in einer Fragment gebliebenen Autobiografie über den Ort seiner frühesten Kindheit: »Ich bin … in einem Haus am Markt geboren … Dieses Gebäude war der Hauptfront der Kirche mit ihrer hohen Treppe und ihrem stattlichen Turm gerade zugekehrt. Rechts von der Kirche stand der Pranger des Ortes, und links lag das Rathaus mit dem Gefängnis und dem Tollhaus. Die vierte Seite des Marktes nahmen Lateinschule und Bürgerschule ein. … Diese Szenerie war also der erste Ausblick in die Welt, der sich meinen Augen darbot. … In dem Anwesen am Markt unten blieben wir übrigens nicht lange wohnen. Mein Vater kaufte ein größeres Haus, das wir bezogen, als ich etwa vier Jahre alt gewesen sein mag.«
Der Vater Knud Ibsen zählte als Kaufmann zu den angesehenen Bürgern der Stadt. 1835 musste er jedoch Konkurs anmelden. Nach der Zwangsversteigerung des Geschäfts und des Hauses zog die sechsköpfige Familie auf den außerhalb Skiens gelegenen Hof Venstøp – ein gesellschaftlicher Abstieg, den Ibsen zeit seines Lebens als Makel empfand. Die Mutter Marichen Ibsen, geborene Altenburg, entfremdete sich jetzt ihrem Mann und verfiel zunehmend in religiöse Sektiererei. Jahrelang kämpfte ihr Gatte noch um seine materielle Existenz. Erst versuchte er es als Schiffsmakler, zog sich dann aber, völlig verarmt, aus dem Berufsleben zurück.
Henriks Verschlossenheit resultierte gewiss aus diesen Kindheitserfahrungen. In Venstøp zog sich der Junge gern in einen Verschlag neben der Küche zurück und las, vor allem die Bibel, die er auch später regelmäßig zur Hand nahm. Er liebte es, seinen jüngeren Geschwistern Zauberkunststücke vorzuführen oder ein Puppentheater, dessen Figuren er selbst hergestellt und bemalt hatte. Er zeichnete Landschaftsbilder und Karikaturen und träumte davon, Maler zu werden.
Ibsen ging ein paar Jahre auf die Bürgerschule in Skien. Da für die dortige Lateinschule das Geld nicht reichte, musste er später jeden Tag einen Schulweg von zwölf Kilometern bewältigen, um eine kleine Privatschule zu besuchen. Im Herbst 1843 zogen die Ibsens noch einmal in ein gemietetes Haus nach Skien. Doch lange konnte Henrik
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