Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
Karl May
Für diese Reihe verfasste May ebenfalls die romantische Erzählung »Winnetou I«, in der er den Alltag der Bewohner des Wilden Westens schildert. Mit dem Apachenhäuptling Winnetou und dessen Blutsbruder Old Shatterhand, dem Alter Ego seines Verfassers, erfand May seine berühmtesten Helden. In »Durch die Wüste«, einem sechsbändigen Orientzyklus, erzählt der Held Kara Ben Nemsi in ähnlicher Weise von den exotischen Schauplätzen seiner Reisen. Ferne Länder hatten es dem kreativen Autor angetan. Er behandelte in seinen christlich-moralisierenden Erzählungen sowohl Südamerika, unter anderem in »Das Vermächtnis des Inka« von 1892, als auch China in »Der blaurote Methusalem« von 1889. Seinen Erfolg mit »Winnetou I« baute er aus, und bis 1910 folgten drei weitere Bände, in deren Entwicklung der Titelheld, gleichsam die Verkörperung des »edlen Wilden«, zu einer Moses-Figur des 19. Jahrhunderts stilisiert wird. Die drei Bände des »Old Surehand« sowie »Der Schatz im Silbersee« spielen ebenfalls in Nordamerika – dem freien, wildromantischen Land, wo, wie bei May üblich, stets das Gute über das Böse die Oberhand gewinnt. Unterdessen produzierte May aber nicht nur Romane, sondern arbeitete auch verstärkt an seiner eigenen Legendenbildung.
REISELITERATUR NEBEN KARL MAY
In einer Zeit rasanter technischer Entwicklungen prägte Jules Verne – in ganz anderer Form als Friedrich Gerstäcker oder Karl May – den abenteuerlichen Reiseroman: In seinem Londoner Club wettet Phileas Fogg, mithilfe der modernen Technik die Erde in 80 Tagen umrunden zu können. Zusammen mit seinem französischen Diener macht er sich auf den Weg. Ab Suez werden sie von dem Geheimagenten Fix verfolgt, der Fogg auf der Flucht vor der Kriminalpolizei glaubt. Unterwegs rettet der mit edlen Speisen und Whistspielen sich die Zeit vertreibende Fogg die junge parsische Witwe Aouda; bei der pünktlichen Ankunft im Club sind beide verheiratet.
Es ist nicht mehr, wie noch bei Karl May, eine besinnliche, lehrreiche Reise, die das englisch-französische Duo unternimmt; in flottem Wechsel begegnen ihnen die Ereignisse der kleiner gewordenen großen Welt. Anders als in seinem utopischen Romanen beschreibt Verne in diesem 1872 erschienen Buch keine Staunen erregende Zukunftswelt, sondern relativiert mit Humor und Satire die Errungenschaften der von den Zeitgenossen noch kaum begriffenen Gegenwartstechnik.
Der Schriftstellerkollege Peter Rosegger hielt Karl May schon 1877 »seiner ganzen Schreibweise nach … für einen viel erfahrenen Mann, der lange Zeit im Orient gelebt haben muss«. May gab darüber hinaus auch vor, über 30 Fremdsprachen zu beherrschen, residierte in der exotisch ausstaffierten Villa Shatterhand und ließ sich in den Verkleidungen und Posen seiner Helden Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi porträtieren.
Mehr und mehr verschwammen die Grenzen zwischen Mays Protagonisten und ihrem Erfinder, und sein von jeher latent vorhandenes Identitätsproblem trat nun offen zutage, während die 1897 entstandene Erzählung »Weihnacht!« und »Am Jenseits« von 1898/99 sein Alterswerk einleiteten.
›Ja, ich habe das alles und noch viel mehr erlebt. Ich trage noch heute die Narben von den Wunden, die ich erhalten habe.‹
Karl May
TURBULENZEN – SELBST NOCH IM ALTER
Von März 1899 bis Juli 1900 bereiste May dann endlich den Orient, wohin er zeitweise von seiner Frau und dem befreundeten Ehepaar Richard und Klara Plöhn begleitet wurde. Diese Reise wurde zur Lebenszäsur für Karl May. Schon immer hatte er sich für den Weltfrieden eingesetzt und sich für unterdrückte Völker stark gemacht. Doch nun traten die großen Fragen der Menschheit für ihn vollends in den Vordergrund; fortan durchdrangen weltbürgerlich-humanistische Anschauungen sein Denken und Schaffen. Dies blieb auch nicht ohne Folgen: Mays schon lange kriselnde Ehe zerbrach mit der Scheidung 1903 endgültig. Während seine zweite Ehe mit Klara Plöhn glücklich verlief, fristete Emma Pollmer in den ihr verbleibenden Lebensjahren ein erbärmliches Dasein, bis sie 1917 geisteskrank starb. Zu Mays privaten Turbulenzen kamen Auseinandersetzungen mit dem Münchmeyer-Verlag, der illegal die stark bearbeiteten Kolportageromane Mays unter dessen richtigem Namen neu aufgelegt hatte. Dazu wurden von der Presse verleumderische Hetzkampagnen gegen den bekannten Schriftsteller geführt. Unterdessen arbeitete May aber eifrig weiter und verfasste die Erzählung »Et
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