Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
Naturen. Sie sind bis zu ihrem Tode niemals krank gewesen. Mich atavistischer Schwachheiten zu zeihen, ist eine Böswilligkeit, die ich mir unbedingt verbitten muss. Dass ich kurz nach der Geburt sehr schwer erkrankte, das Augenlicht verlor und volle vier Jahre siechte, war nicht eine Folge der Vererbung, sondern der rein örtlichen Verhältnisse, der Armut, des Unverstandes und der verderblichen Medikasterei, der ich zum Opfer fiel. Sobald ich in die Hand eines tüchtigen Arztes kam, kehrte mir das Augenlicht wieder, und ich wurde ein höchst kräftiger und widerstandsfähiger Junge, der stark genug war, es mit jedem anderen aufzunehmen.«
Karl May erfüllte seinen Vorsatz auch tatsächlich nur kurze Zeit später, als er 1864 erneut straffällig wurde, indem er sich unter falschem Namen mehrmals wertvolle Kleider und Pelze ergaunerte. Für diese Taten wurde er zu über vier Jahren im Zwickauer Arbeitshaus verurteilt, wo er als Taschenhersteller, Kirchenmusiker und Schreiber arbeiten konnte. Hier kam ihm zum ersten Mal die Idee, Schriftsteller zu werden, und er schmiedete eifrig Pläne, um diesen Vorsatz zu verwirklichen. Doch vorerst kam es nicht dazu, denn nach seiner Entlassung im Jahr 1868 wurde May erneut rückfällig. Verschiedene Gaunereien, spektakuläre Fluchten und ebensolche Verfolgungen endeten in seiner Festnahme und Verurteilung zu abermals vier Jahren Zuchthaus in Waldheim. Doch während die Zwickauer Anstalt sich in erster Linie der Resozialisierung ihrer Insassen gewidmet hatte, so war die zweite große – und zugleich letzte – Haftzeit in Waldheim ungleich härter.
Nach der Entlassung aus dem Gefängnis wurde May von den auf Kolportageromane spezialisierten Verlegerbrüdern Heinrich Gotthold und Friedrich Louis Münchmeyer als Redakteur ihrer Zeitschriften 1875 unter Vertrag genommen. Die Romane, die er von da an schrieb, wurden von reisenden Händlern vertrieben, erschienen in Folgen und galten als billiger Lesestoff. Daneben verfasste May, der nun in Dresden ansässig war, für verschiedene Auftraggeber Dorfgeschichten, historische und exotische Erzählungen sowie Erbauungsliteratur. Bei einem Besuch in der Heimatgemeinde lernte er 1876 seine spätere Frau Emma Pollmer kennen, die ihm 1877 nach Dresden folgte.
Nach einem vorübergehenden Ausscheiden aus dem Münchmeyer-Verlag arbeitete May kurz bei dem Dresdner Verleger Bruno Radelli, bevor er sich als freier Schriftsteller versuchte. Für die katholische Familienzeitschrift »Deutscher Hausschatz«, der May lange verbunden blieb, entstanden mit »Three carde monte«, »Unter Würgern«, »Giölgeda padishanüm«, »Reise-Abenteuer in Kurdistan«, »Die Todeskarawane« mehrere Abenteuerromane in der Ichform. Schauplätze dieser Romane sind der Wilde Westen Nordamerikas und der Orient. Mit »Im fernen Westen« schrieb er 1879 sein erstes Buch. Ab 1882 war er auch wieder für Münchmeyer tätig, allerdings arbeitete er unter dem Pseudonym Karl Hohenthal, um seinen neuen, guten Ruf nicht zu verlieren. Während dieser zweiten »Münchmeyerei« verfasste May in fünf Jahren mit dem Fortsetzungsroman »Das Waldröschen« und vier weiteren Riesenschriften ein insgesamt rund 13 000 Seiten umfassendes Werk.
REISEROMANE UND JUGENDERZÄHLUNGEN
Doch schon bald hatte May genug von der Unsicherheit der freien Arbeit und begann daher 1887 mit der festen Arbeit für die neue Jugendzeitschrift »Der gute Kamerad« des Stuttgarter Spemann-Verlags, wo von ihm unter anderem »Der Sohn des Bärenjägers« erschien. Der Erfolg der Reihe bestärkte den Schriftsteller darin, die Fronarbeit bei Münchmeyer einzustellen. Ab 1891 brachte der noch unbekannte Freiburger Verleger Friedrich Ernst Fehsenfeld die »Buchausgabe der im ›Deutschen Hausschatz‹ und anderen Zeitschriften bisher erschienenen Reiseromane des Herrn Dr. Karl May« heraus. Die illegale Führung des Doktortitels wurde May 1898 jedoch untersagt. Bis 1910 fertigte er 33 Bände der »Gesammelten Reiseerzählungen« an, darunter auch »Durch die Wüste«. Diese klassische gold-grüne Ausgabe ist in beinahe unveränderter Form auch heute noch erhältlich.
›Ich hörte gerne, dass Karl May in der Öffentlichkeit so lange als guter Schriftsteller galt, bis irgendwelche Missetaten aus seiner Jugend bekannt wurden. Angenommen aber, er hat sie begangen, so beweist mir das nichts gegen ihn – vielleicht sogar manches für ihn. Jetzt vermute ich in ihm erst recht einen Dichter.‹
Heinrich Mann über
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