Worte bewegen die Welt
geschaffen.
WALTHER VON DER VOGELWEIDE UND DIE POLITIK
Wie in der Spruchdichtung üblich, benutzte auch Walther von der Vogelweide diese Gattung, um Herrscherlob, Existenzprobleme, Gesellschaftskritik und Unterweisungen zur praktischen, moralischen oder religiösen Lebensführung zu formulieren. Er bereicherte den Sangspruch jedoch um aktuelle politische Themen, sodass er als erster deutschsprachiger politischer Dichter gelten kann. Ob es sich bei den politischen Sprüchen um Auftragswerke oder um eigenständige Stellungnahmen handelt, ist nicht zu entscheiden, weil die biografische Situation Walthers von der Vogelweide unbekannt ist und sich die meisten Sprüche nicht sicher datieren lassen. Die Interpretation hängt davon ab, ob man Walther von der Vogelweide als dichtenden Gesandten sehen möchte, der im Auftrag seiner – wenn ja, welcher? – Mäzene und Herrscher durchs Land reiste oder als fahrenden Sänger, der sich mit seinen Liedern und Sprüchen die Gunst eines Herrn erwerben musste. Den chronologischen Rahmen geben Sprüche mit Erwähnungen zeitgeschichtlicher Ereignisse vor: etwa der Tod Herzog Friedrichs I. von Österreich und die Wahl Philipps von Schwaben zum deutschen König 1198, die Ermordung des Erzbischofs Engelbert von Köln 1225 und (vermutlich) der 5. Kreuzzug. Dazwischen entstanden Sprüche auf Philipp von Schwaben, Otto IV. und Friedrich II., womit jedoch keine Aussagen über Walther von der Vogelweides Dienstverhältnisse getroffen sind, oftmals nicht einmal über seine Sympathien. Die Tendenz, politische Einzelvorgänge zu verallgemeinern, verwischt oft die Entstehungssituation, verleiht den Sprüchen aber dafür die Aura des Allgemeingültigen. Auch die ehemals beliebte Vorstellung, Walther von der Vogelweide wäre aus Sorge um das Wohl des Reiches nach der Doppelwahl von 1198 zum fahrenden politischen Dichter geworden, ist unhaltbar. Walther von der Vogelweide dichtete nicht für das Volk, sondern für ein höfisches Publikum, dessen politische Anschauungen realpolitischer Natur waren und direkt von den wechselnden Macht- und Koalitionsstrukturen im Reich abhingen. Entsprechend richtete sich sein politisches Dichten primär nicht an den Königs- oder Kaiserhof, sondern an die Fürstenhöfe. An diesen verlangte man von Walther von der Vogelweide, die jeweils passende prowelfische oder prostaufische Position zu vertreten und andere politische Feindbilder zu teilen.
Walther von der Vogelweides reichspolitische Stellungnahmen waren nicht inhaltlich, sondern aus poetischer Sicht originell: Gerade die Frage, welcher Herrscher das Reich am besten regieren könne, wie dies geschehen solle und wo die Grenzen der Zuständigkeiten von Kaiser und Papst, weltlicher und geistlicher Gewalt lägen, war seit dem Investiturstreit schon oft gestellt und sowohl im päpstlichen als auch – wie von Walther von der Vogelweide – im antipäpstlichen Sinne beantwortet worden. Der König war nach Walther von der Vogelweide von Gottes Gnaden, er hatte für Frieden und Recht zu sorgen und den Kreuzzug zu führen; die Reichsinsignien – nicht der Papst – legitimierten den weltlichen Herrscher. Den Päpsten Innozenz III., Honorius III. und Gregor IX. warf er Geldgier, Prasserei, Simonie, Betrug, Lüge und Zauberei vor. Walther von der Vogelweides bilderreiche Sprache, die Prägnanz seiner Formulierungen, der dramatische, manchmal parodistische, mitunter sarkastische Redegestus und die Rollen, die sein lyrisches Ich annimmt – etwa als Lehrer der Jugend, Ratgeber des Königs, Engel oder Erblasser –, fanden nicht nur beim mittelalterlichen Hörer große Anerkennung.
›Ein Schaden ist gut, der zwei Vorteile gewinnt.‹
Walther von der Vogelweide
WALTHER VON DER VOGELWEIDE UND DIE RELIGION
Meist rechnet man Walther von der Vogelweides religiöse Lieder seiner Altersdichtung zu, obwohl biografische Belege dafür fehlen. Die so genannten »Alterslieder«, in denen Topoi wie Alter, Tod, sittliche oder zeitbedingte Verfallserscheinungen, Weltabsage oder die »gute alte Zeit« ausgearbeitet werden, müssen aber weder Ausdruck einer resignativen Altersstimmung sein noch Bekenntnischarakter besitzen. Auch die Kreuzzugslieder und der Leich werden oftmals seiner späten Schaffenszeit zugeordnet, doch hat man inzwischen die Indizien hierfür in Zweifel gezogen. Religiöse Themen finden sich auch in seiner Sangspruchdichtung und in seinen Minneliedern, weil sich im mittelalterlichen Denken ebenso wie in der
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