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Worte bewegen die Welt

Worte bewegen die Welt

Titel: Worte bewegen die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brockhaus
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mittelalterlichen Lebenswirklichkeit weltliche und geistliche Bereiche durchdrangen; den geistlichen Bereichen kam dabei ein Würdevorrang zu. Deshalb wäre es ein Missverständnis, aus Walther von der Vogelweides Papstkritik Religionskritik abzuleiten oder das Papsttum als Institution infrage gestellt zu sehen. Ebenso irrtümlich wäre es, höfische Lebenswelt und christliches Selbstverständnis als nicht zusammengehörig zu betrachten.
    ›Ich seh' die Galle mitten in dem Honig schwimmen: Die Welt ist außen schön, weiß, grün und rot, doch innen schwarz und finster wieder Tod.‹
    Walther von der Vogelweide, Herbst 1227
    Das lyrische Ich nimmt in Walther von der Vogelweides Altersdichtung eine belehrende, rükkblickende Rolle ein, aus der heraus Klagen über gesellschaftliche und kirchenpolitische Missstände der Zeit oder die Vergänglichkeit des Lebens und der Welt formuliert werden, die im Aufruf zur Weltabkehr und in religiös motivierten Betrachtungen münden. Derartige Klagen besitzen theologische und poetische Traditionen. Erstmals in der deutschsprachigen Literatur ließ Walther von der Vogelweide die Figur der »Frau Welt« auftreten und einen Dialog über ihren unbeständigen, doch verführerischen Glanz bestreiten. Nur Christus vermöge den Fall der Sünder in die Hölle abzuwenden und der Macht des Teufels ein Ende zu bereiten, denn er schenke den um Erlösung Bittenden Umkehr und Gnade. Ritter hätten gute Aussichten, ihr Seelenheil zu retten und sich ihrer Sünden zu entledigen, wenn sie sich dem Kreuzzug ins Heilige Land anschlössen, aber auch der innere Verfall von Kirche, Staat und Gesellschaft könne durch den Kreuzzug aufgehalten werden. Diese mehrfach geäußerte Ansicht teilte Walther von der Vogelweide mit der üblichen kirchlichen Kreuzzugspropaganda. Dem Aufruf zum Kreuzzug widmete er auch eigene Lieder, darunter die »Elegie« und das »Palästinalied«. Sie enthalten Gebetselemente und erinnern daran, dass das Leben und Sterben Christi den gläubigen Christen das ewige Leben erwirke, während es den Heiden ewige Verdammnis und den Juden Beschämung bringe. Da Christus im Heiligen Land sein Leben geopfert habe und dort auch das Jüngste Gericht stattfinden würde, müsse man auch für die Befreiung und Rückgewinnung dieses Landes sein Leben opfern, zumal der Märtyrertod ewiges Leben garantiere.
    Bei Walther von der Vogelweides hochartifiziellem Leich handelt es sich um eine Mariendichtung in Sequenzform, die in der Tradition des »Vorauer Marienlobs«, des »Melker Marienlieds«, des »Arnsteiner Marienleichs« und der Mariensequenzen von St. Lambrecht und Muri steht. Der Leich ist formal nach der Sequenz »Captus amore gravi«, die aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts stammt, konstruiert. Die Benennungen und Anrufungen Mariens, etwa als »blühende Rute Aarons«, »Thron Salomons« oder »Fell Gedeons«, entstammen lateinischen Mariendichtungen und beruhen auf biblischtheologischen Konventionen, die seit frühchristlicher Zeit gepflegt wurden. Maria wird vornehmlich als Gottesgebärerin, Fürbitterin und Himmelskönigin gepriesen. Doch auch der Leich formuliert heftige Kirchenkritik: Die Christenheit sei »unkristenlîcher dinge« voll, das Christentum liege im »siechhûs« und Schuld daran habe Roms üble Macht- und Ämterpolitik. Die Heiligkeit der Kirche gehe verloren, zwischen ihren »Worten« und »Werken« herrsche keine Übereinstimmung.
    WALTHER VON DER VOGELWEIDE UND DIE MINNE
    Der deutschsprachige Minnesang wurde zu Walther von der Vogelweides Zeit bereits von Reinmar dem Alten und Heinrich von Morungen gepflegt. Er gilt als Hauptform der höfischen Lyrik vom 12. bis ins 14. Jahrhundert. Walther von der Vogelweide setzte inhaltliche und formale Akzente innerhalb der bestehenden Minnesangtradition, schuf also kein eigenständiges Minneprogramm. Auch er konzentrierte sich vielfach auf die »hôhe minne« höfischer Kreise, worunter man das inständige Werben des Ritters um die Gunst einer Dame versteht, deren körperliche Liebe voraussichtlich unerreichbar ist. Doch während Reinmar der Alte das Leid besingt, das aus der unerfüllten hohen Minne erwächst, und den Wert dieser Minne im »Trotzdem« sieht, beurteilt Walther von der Vogelweide den Minnedienst anders: Er beschreibt die Beglückung des Ritters, wenn die Schöne seine Dienste annimmt und ihn mit Blicken, einem Rendezvous oder ihrer Gunst belohnt. Dem Mann verleiht schon sein Minnedienst sittlichen Wert und

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