Worte bewegen die Welt
Prosa-Lancelot-Roman, bringt die Liebe zwischen Guenievre, der Gattin des König Artus, und Lancelot zum Entflammen, eine Szene, bei deren Lektüre sich Francesca da Rimini und Paolo Malatesta in Dantes Hölle (dem ersten Teil seiner »Göttlichen Komödie«) ebenfalls ihre Zuneigung gestehen. Diese Liebe stiftende Wirkkraft möchte Boccaccio auch auf seine Leserinnen ausüben, jene »holden Frauen«, die unter dem Diktat von Vätern, Müttern, Brüdern und Gatten schwermütig werden und denen er deswegen mit seinen Erzählungen Entspannung, Heiterkeit, »guten Rat und Belehrung« bringen möchte.
Auf diese Vorrede folgt die streng zweigliedrige Einleitung zum ersten Tag, in der die Handlung entworfen wird, die die hundert Novellen umrahmt. Boccaccio beginnt mit einer Beschreibung der Auswirkungen der Pest in Florenz, die von dem karolingischen Dichter und Gelehrten Paulus Daiconus inspiriert ist: überall Verwüstungen, überall Versagen, in der Gesellschaft wie in der Politik, in der Medizin wie in der Theologie.
Daher der zweite Teil der Einleitung, der vor dem Hintergrund von Grauen, Trauer und Entsetzen die Entstehung einer zeitenthobenen Utopie vorführt: An einem Dienstagmorgen treffen sich in der Kirche Santa Maria Novella sieben junge Frauen – Pampinea, Fiammetta, Filomena, Emilia, Lauretta, Neifile und Elissa – und drei junge Männer, vielleicht Bilder des Autors in verschiedenen Lebensaltern – Panfilo, Filostrato und Dioneo. Auf Vorschlag Pampineas verlassen sie am Mittwochmorgen die verseuchte Stadt und verbringen nun 14 Tage miteinander, zuerst auf einem idyllischen Landsitz, darauf in einem Palast in der Umgebung von Florenz. Am ersten Ort angekommen, geben sie ihrer kleinen Welt die Regeln, die für die Zeit ihres Zusammenseins gelten sollen: Über jeden Tag herrscht ein Mitglied der »brigata« als König oder Königin; es ist zuständig für dessen Organisation, besonders aber für die Bestimmung des Themas, zu dem von allen etwas vorgetragen werden soll. Aus dieser Ordnung fällt der Freitag aus religiösen Gründen heraus und der Samstag dient der Körperpflege: An beiden Tagen gibt es keine Geschichten. So bleiben zehn Tage, an denen jeweils zehn Novellen erzählt werden können.
Vor diesem Hintergrund entfaltet sich darauf der Kranz der hundert Novellen dieses bürgerlichen Epos, zentriert um die Themen von Liebe, Schicksal und Verstand, über Treue und Untreue, Betrug, Heuchelei und Ehrbarkeit, Schläue, Gewitztheit, Dummheit, immer wieder über die Wechselfälle des Geschicks, die Willkür der Fortuna. Gestützt auf antikes, mittellateinisches und volkssprachlich-mittelalterliches Erzählgut, auf schriftliche und mündliche Überlieferungen, spielen sie – hier idealisiert, dort realistisch und konkret – in höfischem, städtischem oder bäuerlichem Ambiente. Ihr nach allen Regeln der Rhetorik durchrhythmisierter Stil, der bei aller Neigung zur humanen, heiteren Mittellage erhaben, feierlich und tragisch, aber auch burlesk und umgangssprachlich klingen kann, stellt ein (häufig auf historische Ereignisse anspielendes) Abbild menschlichen Lebens dar, das zugleich überzeitliche Geltung hat.
DIPLOMAT, REISENDER, GELEHRTER
Durch dieses Werk, aber auch durch seine politisch-öffentlichen Aktivitäten war Boccaccios Ansehen kontinuierlich gestiegen. Als daher nach der Überwindung der Pest die politischen Gegensätze zwischen Zünften und Mitgliedern der städtischen Magnatenfamilien wieder aufbrachen, dazu die wirtschaftliche Lage der Stadt instabil blieb und ihre äußere Bedrohung durch die Städte Pisa, Lucca oder Mailand, die päpstliche oder die Politik der Anjou, unvermindert anhielt, sandte der Rat von Florenz ihn zwischen 1351 und 1354 auf mehrere diplomatische Missionen. 1351 war er entscheidend an der Übernahme Pratos durch Florenz beteiligt und konnte damit das Ende der Ansprüche der Anjou auf toskanisches Territorium mitbesiegeln.
Das Jahr 1355 sieht ihn bei der Klärung von Problemen mit den florentinischen Truppen, aber auch, während der Aufenthalte Karls IV. in der Toskana, bei dem Kaiser. Eine schmerzliche Erfahrung brachte dieses Jahr 1355 noch für Boccaccio: den Tod der kleinen Tochter Violante, deren Bild er im Dekameron, in seinem »Bucolicum carmen« und in drei Briefen liebevoll bewahrt hat.
1356 bis 1358 sind von einer großen Konzentration auf die eigenen schriftstellerischen Arbeiten geprägt, die konsequenterweise zu einem Rückzug aus den öffentlichen
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