Worte bewegen die Welt
Jagd entziehen, um in die Dienste der Liebesgöttin Venus zu treten. Der Text verbindet mittelalterliche Liebesallegorie mit Beschreibungen der Realität des höfischen Lebens. Noch drei weitere Texte sind vermutlich in Boccaccios neapolitanischer Zeit entstanden: die in der aus der Spielmannsepik (»cantari«) übernommenen und von da an für die italienische Kunstepik vorbildlichen Strophenform, der Oktave, geschriebenen Epen »Il Filostrato« (Troilus und Kressida) und »Teseida« sowie der Prosaroman »Il Filocolo«.
Vier Werke sind es, die in den ersten Jahren nach seinem Ortswechsel entstanden sein dürften: die »Commedia delle ninfe« (1341/42; dt: Komödie der Nymphen), auch »Ninfale d’Ameto« genannt (1341/42; dt. Ametos Nymphenspiel), »L’ amorosa visione« (1342/43; dt. Liebesvision), »Fiammetta« (1343) und »Ninfale fiesolano« (um 1345; dt. Die Nymphe von Fiesole). Formal und inhaltlich inspiriert von Dantes »Das neue Leben« beschreibt Boccaccio in der »Komödie der Nymphen«, wie der raue und ungebildete Ameto durch die Liebe zu der Nymphe Lia edle Umgangsformen und Herzensbildung gewinnt. Wie in der Idylle um Ameto bleibt der Bruch zwischen allegorischem und realistischem Erzählen auch in der »Liebesvision« unaufgehoben. Erneut von Dante, diesmal von der »Göttlichen Komödie«, angeregt, beschreibt der Verfasser in einer Traumvision, die ihn mit Tugenden und Lastern konfrontiert, seinen Versuch, ins Paradies zu gelangen. Begleitet wird er dabei von einer anmutigen jungen Frau, die seine Seele vor Eitelkeit und Lastern bewahren möchte. Von ganz anderer literarischer Qualität ist der Versroman »Fiammetta«, in dem Boccaccio in Anlehnung an antike (Ovid, Seneca) und zeitgenössische Autoren (Dante, Petrarca) Fiammetta die Geschichte ihrer alle Grenzen sprengenden Leidenschaft zu dem florentinischen Kaufmann Panfilo schildern lässt. Mit diesem Werk vollzog Boccaccio entscheidende Schritte hin zu »Il Decamerone« (1348–53; dt. Das Dekameron).
Doch trotz aller literarischen und philologischen Arbeiten begab sich Boccaccio auf Reisen. So hielt er sich von 1345 bis etwa 1347 in Ravenna auf, folgte hier seinen dantischen wie allgemein humanistischen Interessen und fand neue Freunde. Ende 1347 oder Anfang 1348 war Boccaccio Gast am Hof Francesco Ordelaffis in Forlì und kam hier unmittelbar mit den verschlungenen Irrwegen dynastischer Streitigkeiten im mittelalterlichen Europa in Berührung: Als Ludwig I., der Große, von Ungarn 1347/48 einen Rachefeldzug gegen Neapel und dessen Königin Johanna I. von Anjou wegen der Ermordung ihres Gatten, seines Bruders Andreas, führte, war er Florenz und Forlì wegen seiner papstfeindlichen Politik willkommen. Entsprechend begrüßte ihn Francesco Ordelaffi am 13. Dezember 1347 feierlich und nahm Boccaccio aus diesem Anlass in seine Dienste. Dessen persönliche Erwartungen an diesen Gunstbeweis wurden enttäuscht. Gleichwohl war dies ein Vorspiel zu den öffentlichen und diplomatischen Aufgaben, die ihm in Zukunft noch übertragen werden sollten.
Zunächst einmal vernichtete jedoch ein schreckliches, in seinen Folgen monströses Ereignis alle öffentlichen und individuellen Pläne. Über die Seidenstraße drang aus Asien die Pest nach Europa, im Oktober 1347 erreichte sie Sizilien, im März/April 1348 Florenz. In den Monaten ihres grauenhaften Regimentes vernichtete sie die Hälfte der florentinischen Bevölkerung, darunter Familienangehörige und Freunde Boccaccios. Sein künstlerisches Ingenium jedoch griff diese Herausforderung auf und ließ ihn eines der großen Werke der Weltliteratur niederschreiben.
›Diese berühmte Novellensammlung ist das erste große Meisterwerk euroäischer Erzählkunst, in einem wunderbar lebendigen Altitalienisch geschrieben und viele Male in alle Kultursprachen übersetzt.‹
Hermann Hesse über »Das Dekameron«
»DAS DEKAMERON«
»Hier beginnt das Buch, genannt Dekameron, beigenannt Fürst Galehault, worin hundert Geschichten enthalten sind, die innerhalb von zehn Tagen von sieben Damen und drei jungen Männern erzählt werden«, lautet der vollständige Titel von Boccaccios Meisterwerk, dessen Komposition damit schon präzis beschrieben ist. Dekameron, das meint in nicht ganz korrektem Griechisch »[Werk] von zehn Tagen«, vielleicht in Anspielung auf das Sechstagewerk (Hexameron) des Ambrosius von Mailand, eine Auslegung der Schöpfungsgeschichte. Fürst Galehault, eine Gestalt aus dem altfranzösischen
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