Worte bewegen die Welt
Verpflichtungen führen musste. Erst 1359 hören wir wieder von ihm, als er im Frühjahr privat zu Petrarca reiste, im Sommer als offizieller Botschafter seiner Stadt den kaiserlichen Vikar Bernabò Visconti in Mailand aufsuchte und zum Jahresende um eine Annäherung an Niccolò Acciaiuoli, den Großseneschall von Neapel, bemüht war.
So fallen in diese Jahre, in denen sich auch Boccaccios sittlich-religiöse Neigungen intensivierten, Skizzen und erste Ausführungen zu einer Reihe von lateinischen Schriften, deren weite Verbreitung seinen Ruhm als humanistischer Gelehrter begründete und bestätigte. Zu ihnen gehören die mythologische Enzyklopädie der Genealogie »Deorum gentilium libri« (Bücher von der Abstammung der heidnischen Götter) mit den dichtungstheoretisch bedeutsamen Büchern XIV und XV, an der Boccaccio bis an sein Lebensende arbeiten sollte, die biografischen Sammlungen »De casibus virorum illustrium« (Über den Sturz berühmter Männer) und »De claris mulieribus« (Über berühmte Frauen), die geographische Enzyklopädie des »Liber de montibus, silvis, fontibus, lacubus, fluminibus, stagnis seu paludibus et de nominibus maris« (Buch über Berge, Wälder, Quellen, Seen, Flüsse, Teiche oder Sümpfe und über die Namen des Meeres) und wohl der erste Entwurf seiner Dante-Würdigung »Trattatello in laude di Dante« (Das Leben Dantes). 1360 konnte Boccaccio nach langen Vorbereitungen einen Plan von großen geistesgeschichtlichen Konsequenzen verwirklichen: die Einrichtung eines ersten Lehrstuhls für griechische Sprache und Literatur außerhalb von Byzanz.
BOCCACCIOS FREUNDSCHAFT ZU PETRARCA
Nachdem Boccaccio bereits 1339 die lateinische Epistel Mavatoris Miles an sein großes Vorbild, den verehrten Francesco Petrarca, gerichtet hatte, lernte er den berühmten Dichter und Humanisten im Jahr 1350 schließlich auch persönlich kennen, als dieser einer Einladung Boccaccios folgend nach Florenz kam. Mit Petrarca verband Boccaccio bis zu dessen Tod im Jahr 1374 eine enge Freundschaft, damit einhergehend auch die gemeinsame Absicht, das Studium der Antike voranzutreiben und die lateinischen und die griechischen Studien wieder zu beleben. Petrarca war einer der Ersten, der nach antiken Handschriften forschte und um deren Verbreitung bemüht war. Seine glanzvolle Arbeit als Textkritiker begründete den neuen, philologischen Zugang zu den antiken Schriften und damit einhergehend die Abwendung von der mittelalterlichen Latinität. Boccaccio hatte bei dieser Arbeit wesentlichen Einfluss auf Petrarca – so regte er ihn dazu an, die Schriften Homers erstmals vollständig durch den Halbgriechen Leonzio Pilato übersetzen zu lassen. Auch bei seiner Arbeit an anderen Werken orientiert sich Boccaccio an dem Vorbild Petrarcas (und auch Dantes), indem er das Muster einer idealen Geliebten namens Fiammetta wählt.
TRIBUT AN DIE ANTIKE KULTUR
Im Gegensatz zu Petrarca, dem das Griechische bei aller Verehrung für Homer und Platon immer fremd blieb, hatte Boccaccio seit seinem Aufenthalt in Neapel auf die Bedeutung der griechischen für die römische Kultur hingewiesen und ihr in seinem Werk in unterschiedlicher Weise Tribut gezollt. Er gewann den Philologen, Übersetzer und Kommentator Leonzio Pilato als Dozenten für den ersten Lehrstuhl für griechische Sprache und Literatur, bei dem er selbst Griechisch lernte und mit dem er sich an eine lateinische Teilübersetzung der Ilias machte, die für Petrarca bestimmt war.
Großherzigkeit und humanistisches Engagement des Autors werden übrigens nicht zuletzt daraus deutlich, dass er Leonzio in seinem eigenen Haus ertrug, war doch der belesene Gräzist, der in seinen Vorlesungen eindrucksvoll Homer, Aristoteles und Euripides interpretierte, eine wenig urbane und im Äußeren ziemlich unappetitliche Erscheinung.
Hatte Boccaccios wirtschaftliche Lage sich in den vergangenen zehn Jahren stabilisiert – er hatte sogar Aussicht auf die Gewährung einer geistlichen Pfründe durch Papst Innozenz VI. – und war sein öffentliches Ansehen wegen seiner literarischen und diplomatischen Aktivitäten ständig gewachsen, so geriet er Ende 1360 in den Umkreis einer Verschwörung der Patrizier gegen die legitime Stadtregierung unter der Führung seines Freundes Pino de’ Rossi, der sich nur durch die Flucht retten konnte. Die vereitelte Rebellion führte dazu, dass der Dichter bis 1365 keine öffentlichen Aufgaben mehr erhielt. So reiste er wieder, 1361/62 zu Studienzwecken nach
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