Worte bewegen die Welt
des 13. Jahrhunderts nach Florenz gezogen, um von den wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten zu profitieren, die sich in der Stadt am Arno boten.
Boccaccio wurde als uneheliches Kind geboren; erst ein päpstliches Dekret von 1360 sollte diesen Makel heilen. Er sprach daher auch nur sehr selten von seiner Mutter – Gerüchten zufolge eine Französin –, dafür aber häufig von seinem Vater, Boccaccino di Chelino, der ihn als Sohn anerkannte und ihn aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung und ökonomischen Möglichkeiten als einer der wichtigen Mitarbeiter des Bankhauses Bardi in jeder Hinsicht förderte.
Um 1327 folgte Boccaccio seinem Vater, der als Repräsentant der Bardi an den Hof der Anjou nach Neapel gesandt wurde. Fast 14 Jahre lebte er hier, für ihn die glücklichste Zeit seines Lebens, an die er immer wieder anknüpfen wollte. Er absolvierte eine etwa vierjährige Banklehre, aber eigentlich wollte er Schriftsteller werden. Und so sammelte er Eindrücke von höfischen Festlichkeiten und königlicher Gelehrsamkeit, beobachtete den Maler Giotto bei seiner Arbeit und lernte einige der bedeutendsten Dozenten an der neapolitanischen Universität, dem »Studio napoletano«, kennen: unter ihnen Cino da Pistoia, der ihm wichtige Eindrücke zu Dante vermittelte, und der Frühhumanist und Theologe Dionysius von Borgo San Sepolcro, der seit 1338 am »Studio« Vorlesungen über antike Autoren hielt und Boccaccios Verehrung für Francesco Petrarca, sein bewundertes Vorbild, weckte.
Weitere Anregungen erhielt Boccaccio durch die königliche Bibliothek in Neapel, die – den Vorlieben des Hofes entsprechend – vor allem mit altfranzösischen und altprovenzalischen Texte bestückt war, welche seinen literarischen Horizont ebenso erweiterten wie die Spielleute und Bänkelsänger aus der Toskana, auf die er am Hof und in der Stadt traf.
DAS ENDE EINES TRAUMES: VON NEAPEL NACH FLORENZ
Eine Pestepidemie und die schlechte wirtschaftliche Lage von Florenz veränderten die Lebenssituation Boccaccino di Chelinos: Seit 1338 war er offenbar nicht mehr mit dem Bankhaus Bardi verbunden und geriet selbst in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Sie dürften im Wesentlichen der Grund dafür gewesen sein, dass sein Sohn Giovanni im Winter 1340/41 nach Florenz zurückkehrte. Wie ungern er dies tat, drückte er in seinen literarischen Texten aus: Er habe die Stadt des Lichts, der Schönheit und Anmut, die Stadt seiner intensiven literarischen Studien verlassen und sitze nun mit seinem geizigen Vater in einem dunklen Haus, ohne anregende Unterhaltungen im Kreis der Freunde, ohne heitere Gespräche und schöne Frauen. Er hasse das Handel treibende Bürgertum der Stadt, das nur auf Geldverdienst oder Betrug aus sei, werde melancholisch und traurig.
Doch andererseits gab es in Florenz neue literarische Welten zu entdecken: die moralisierend-lehrhafte Dichtung der Toskana ebenso wie die Nachahmungen des altfranzösischen Rosenromans (eine allegorische Liebesdichtung), städtische und private Chroniken, Reiseberichte, Übersetzungen lateinischer Autoren für das neue bürgerliche Lesepublikum – zu denen er selbst eine Livius-Übersetzung beitrug, die für die Entwicklung seiner Prosa große Bedeutung haben sollte – oder die immer wieder neue Wunderwelt der »cantari«, zu der man beiden öffentlichen Rezitationen auf den Plätzen der Stadt Zugang fand. So dauerte es nicht lange, bis Boccaccio in den angesehensten Kreisen der Florentiner Gesellschaft zu sehen war und auch seine literarische Produktion wieder aufnahm.
ERSTE WERKE
Angeregt von Dantes »Das neue Leben«, von Guido Cavalcanti und Cino da Pistoia, verfasste Boccaccio Sonette und Balladen im »süßen neuen Stil«, zur vergeistigten Verherrlichung der Frau. Doch er stellte sie nicht wie Petrarca in seinem Hauptwerk, dem »Canzoniere«, zu einem Liederbuch zusammen. Denn gegenüber den Dichtungen seines Vorbildes Petrarca sah Boccaccio seine eigenen Gedichte als minderwertig an. In die erste neapolitanische Zeit von Boccaccios Schaffen dürfte auch die mittellateinische »Elegia di Costanza« gehören, die ein wenig den Charakter einer rhetorischen Schulübung besitzt. Spätgotisch-höfische und frühhumanistische Elemente suchte Boccaccio in seiner in Terzinen verfassten »Caccia di Diana« zu verschmelzen, in der er vor dem Hintergrund der neapolitanischen Landschaft eine Jagdgesellschaft von 33 Hofdamen beschreibt, die sich am Abend der Führung durch die Göttin der
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