Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
saß eine Gruppe
Frauen schweigend an der südlichen Wand und beobachtete genau, was geschah. Die
Auftraggeber der Zeremonie hielten sich diskret im Hintergrund, doch der Priester
war sich in jedem Augenblick ihrer Anwesenheit bewusst.
Zunächst umrundete er mit zuckenden Tanzschritten
den Poteau-mitan und präsentierte die heiligen Speisen allen vier Himmelsrichtungen.
Mit einer Flasche des feinsten Rums verfuhr er ebenso. Der Loa, um dessen Beistand
er heute bitten wollte, war bekanntermaßen heikel. Umso wichtiger war es, die richtigen
Geschenke bei der Hand zu haben. Rum war stets ein gutes Argument und würde ihr
Anliegen sicher unterstützen.
Nachdem er die beiden heiligen Instrumente
mit ihrem Namen benannt hatte, begannen die Trommler, einen wilden Rhythmus zu schlagen.
Dumpfe Klänge erfüllten den Tempel und waren weit über die unmittelbare Nachbarschaft
hinaus zu hören. Bereitwillig übernahmen die Gläubigen den Takt, wirbelten umher,
ihre bunten Gewänder umflatterten die Körper, verbanden sich bald zu einem surrealen
Hintergrund. Hühner gackerten aufgeregt, zwängten sich zwischen stampfenden Beinen
hindurch, versuchten zu entkommen. Alte Frauen mit eingefallenen Gesichtern reckten
ihre Arme in die Luft und sandten ihre Beschwörungen in die Nacht, alte Formeln,
gesprochen in einem befremdlichen Singsang.
Schweißglänzende Leiber bewegten sich im
Taumel.
All das, wusste der Priester, war für den
Petro Loa ein fast unwiderstehlicher Reiz.
Baron Samedie spürte längst, wie sehr man
sein Kommen ersehnte.
Immer wieder tastete der Priester nach dem
Lederbeutel um seinen Hals. Er war gut vorbereitet. Dennoch spürte er, wie eine
unbezähmbare Unruhe von ihm Besitz ergriff.
Diesmal dauerte es lange.
Hatte er doch einen Fehler gemacht?
Vielleicht war er der Einzige in diesem
Kreis, der wusste, was es konkret bedeutete, einen dieser unberechenbaren Götter
zu verärgern, was passieren konnte, wenn er beschloss, seinen Übermut an den Versammelten
auszuleben.
Ihm wurde schwindelig.
Zunächst entschloss sich die Göttin Ezilie
dem Ruf zu folgen und sich neugierig unter die Gemeinde zu mischen, um zu erfahren,
was das Anliegen dieser Menschen war. Sie fuhr in eine der Frauen, zwang diese zu
wilden Tänzen, verführte sie, Unmengen des Rums zu trinken, verschwand dann schließlich
mit ihr in einem Nebenraum und wählte dort für die Feierlichkeiten passende Kleider
aus. Schnell trugen die Hunsi die, der Ezilie angemessenen, Opfergaben herbei: Ein
Glas Honig, rosafarbene Rosenblätter, golden glänzende Münzen und grüne Kerzen.
Kaum zurückgekehrt, lud die Göttin alle zum Trank und probierte ihre sprichwörtlichen
Verführungskünste an den Attraktivsten der Männer aus. Erotisches Knistern machte
sich im Humfo breit. Manche Männer hatten sich im Kontakt mit Ezilie die Kleider
vom Leib gerissen und wanden sich laut stöhnend und ekstatisch unter ihren Berührungen.
Einige Pärchen fanden sich, zogen sich, animiert von Ezilie und ihrem Treiben, in
Ecken zurück oder lebten ihre Lust offen zwischen den anderen aus. Andere Mitglieder
der Société tanzten sich in einen tranceähnlichen Zustand.
Alle wussten, dass nicht Ezilie die Gottheit
war, die an diesem Abend Ehrengast sein sollte. Doch ihr Erscheinen war nicht immer
plan- oder gar berechenbar. Wenn der Liebesgöttin der Sinn nach einem Fest stand,
tauchte sie auch uneingeladen auf. Bedauerlicherweise schlug ihre zunächst ausgelassene
Stimmung gern in Melancholie um. Dann wurde Ezilie oft übellaunig und trieb ihren
Schabernack mit den Mitgliedern der Société.
Der Priester registrierte die Anspannung
der Auftraggeber wie eine giftige Wolke über dem Humfo.
Es wurde Zeit.
Er begann, große Steine in einem festgelegten
Rhythmus gegeneinanderzuschlagen, lange und kurze Pausen wechselten sich dabei nach
festgelegtem Muster ab. Schneller und hektischer wurde das Klacken, setzte aus,
begann von Neuem in einem anderen Takt. Wenn er alle Variationen durchgeschlagen
hatte, begann er die Abfolge erneut. Würde Baron Samedie nun zu ihnen kommen? Er
musste längst wissen, dass die versammelten Menschen ein wichtiges Anliegen hatten,
und der Priester war sich sicher, die Neugier des Gottes geweckt zu haben.
Mit einer schnellen Bewegung schleuderte
er eine spezielle Mischung ätherischer Pflanzen ins offene Feuer.
Rauch stieg auf.
Ein stechender Geruch breitete sich aus.
Gebannt starrten ihn die Versammelten an
– würden seine Kraft und Macht
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