Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
an.
Eigentlich sollte es klingeln!
Bestimmt war wieder irgendwas schiefgegangen,
dachte er zornig. Das kam eben davon, wenn man mit Laien arbeitete.
Mit jeder weiteren Leiche stieg das Risiko
der Entdeckung!
Wenigstens hatte man keinen blutigen Anfänger
geschickt, sondern einen, der extra geschult war, der die Morde lautlos beging und
danach alles genau so arrangierte, wie es nötig war – und, beruhigte er sich, bisher
hatte die Polizei keine verwertbaren Hinweise gefunden. Das war immerhin ein Trost.
Ihm fiel die Plastiktüte im Gefrierschrank
wieder ein, deren blutigen Inhalt er noch entsorgen musste. Am besten wäre natürlich,
er könnte das Zeug irgendwo fressen lassen.
Je länger er darüber nachdachte, desto genialer
schien ihm diese Lösung.
Fressen lassen!
Auf dem ›Mundenhof‹?
Die Wölfe hätten vielleicht Interesse daran,
überlegte er, doch dann entschied er sich dagegen. Wenn die Wölfe das Fleisch nicht
vertrugen und wieder erbrachen, würde es den Pflegern auffallen, wenn sie ein Ohr
darin fänden. Aber Schweine! Schweine kämen auch als Verwerter infrage. Sie waren
robuster. Das einzige Problem bestand darin, die Reste unbemerkt in ihr Gehege zu
kippen.
Burkhard Grün zog sich um. Statt Designeranzug
und polierten Lederschuhen trug er nun schwarze Jeans, einen ausgeleierten Pullover
und eine sportliche Jacke in undefinierbarer Tarnfarbe. Ein Blick aus dem Fenster
zeigte ihm, dass es inzwischen begonnen hatte, kräftig zu regnen. Ideale Voraussetzungen!
Bei solch einem Wetter gingen nur die Abgehärtetsten
in den Zoo.
Das Handy schob er in die Außentasche, auch
die Latexhandschuhe steckte er ein.
Keinesfalls hatte er die Absicht, die Fleischstücke
mit bloßen Händen zu berühren.
Fast guter Dinge verließ er sein Loft und
fuhr zum ›Mundenhof‹ hinaus.
Das Gelände nahe der Autobahn war in den
letzten Jahren kontinuierlich erweitert worden. Inzwischen war der Tierpark eine
Attraktion am Rieselfeld. Selbst einen befestigten Parkplatz hatte er bekommen.
Gebührenpflichtig.
Geier, fiel ihm ein, Geier fraßen solche
Dinge auch. Gab es Geier auf dem ›Mundenhof‹? Er konnte sich nicht erinnern, aber
wenn dort welche gehalten wurden, würde er sie schon finden.
Die Wollschweine waren hocherfreut an diesem, für sie eher
langweiligen Tag überraschend Besuch zu bekommen. Alle sammelten sich vor dem hölzernen
Gatter, drängten sich heran, schnupperten, grunzten, schmatzten und quiekten aufgeregt.
Burkhard Grün sah mit Befremden die Ohren, die Augen und die Zungen in ihren Schnauzen
verschwinden. Sie hatten nicht einen Moment gezögert. Ekelerregend gierig fingen
sie sogar an, sich um die besten Stücke zu streiten.
Immer wieder blickte der attraktive Mann
sich um, doch niemand war zu entdecken.
Nach wenigen Minuten war alles vertilgt.
Er wartete noch eine Weile im Regen, um
sicherzugehen, dass nichts davon wieder hervorgewürgt wurde, dann schlenderte er
durch den Tierpark wie ein ganz normaler Besucher. Besonders lange stand er vor
den Volieren der Raubvögel.
Gut zu wissen, dachte er.
Auf dem Rückweg machte sich eine beschwingte
Zuversicht in ihm breit.
Es gab keinen Grund zur Sorge – sie würden
es schon finden – und den Auftraggeber rundum zufriedenstellen.
Gerade als er den Wagen startete, klingelte
endlich das Handy.
50
»So, was haben wir?«
»Es ist wie verhext! Niemand hat etwas g’sehen,
g’hört oder bemerkt. Beate Michaelis wurde direkt vor ihrer Haustüre erschlage’
– aber von den Nachbarn hat angeblich so früh am Morgen noch niemand einen Blick
auf die Straße g’worfe’. Und der Zeitungsausträger hat nur die Tote g’funde’, sonst
nichts Verdächtiges bemerkt – aber er kam ja auch erst Stunden nach dem Mord«, wetterte
Michael Wiener. »Frau Mannstein, die unter Beate Michaelis wohnt, hörte die Studentin
nach unten gehe’ und die Haustür aufschließe’. Was danach geschah, könne sie nicht
sagen, sie sei eingenickt. Ihr Mann bestätigte, seine Frau habe eine Schlaftablette
genommen, und es sei schließlich der Sinn dieses Medikaments, dass man schlafe!«
»Wir wissen mehr, als ihr denkt. Der Täter
lockt seine Opfer offensichtlich direkt vor seine Waffe. Meinert Hagen bestellte
er zum Schwimmbad, Beate Michaelis klingelte er aus der Wohnung. Vielleicht meldete
er sich mit dem Namen eines Bekannten, und sie kam herunter und schloss auf. Wir
wissen nun, dass es nicht um ein Geheimnis geht, sondern um einen konkreten
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