Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
Laufenden
zu halten.«
»Aber Sie wussten von Meinert Hagen?«
»Ja, weil sie es nicht verbergen konnte.
Er stand eines Abends plötzlich hier und wollte sie abholen. Na ja, von da an sah
ich sie öfter mal zusammen.«
»Und darüber haben Sie nicht mit ihr gesprochen?«
Nachtigall dachte an die endlosen Telefonate, die Jule mit ihrer Freundin geführt
hatte. Täglich. Stundenlang. Über jede Kleinigkeit. Er unterdrückte ein Seufzen.
»Doch, schon. Ich fand, Meinert passte nicht
zu ihr. Aber davon wollte sie nichts hören. Wenn man leben will, sucht man sich
nicht einen leblosen Freund!« Erschrocken schlug sie sich die Hand vor den Mund,
als ihr bewusst wurde, wie geschmacklos diese Bemerkung war.
»Hatten Sie den Eindruck, die beiden waren
miteinander glücklich?«
»Hm. Von außen ist so etwas immer nur schwer
zu beurteilen.« Sie zögerte, und der Hauptkommissar nickte ihr aufmunternd zu. »Aber
… ja. Ich glaube schon. Wenn sie wirklich einmal über ihn sprach, dann mit leuchtenden
Augen. Bei ihm fühlte sie sich offensichtlich gut aufgehoben.«
»Bei unserem letzten Gespräch sagten Sie,
Claudine sei Ihre Freundin gewesen. Wer wusste davon?«
»Sie wollen wissen, wer davon wusste, dass
wir mehr als nur Arbeitskolleginnen waren? Was ist das denn für eine seltsame Frage?«,
wollte sie wissen und sah ihn verstört an.
»Frau Fischer – heute Morgen haben wir eine
weitere Freundin Claudines tot aufgefunden. Wir gehen auch in ihrem Fall vom selben
Täter aus.«
Sie quiekte leise.
»Und nun wollen Sie mein Gefährdungspotenzial
abschätzen?«, hauchte sie und setzte sich auf eine Bank.
Nachtigall nahm vorsichtig neben ihr Platz.
»Wer wusste, dass Sie befreundet waren?«,
fragte er ein weiteres Mal.
Heide Fischer überlegte.
»Der eine oder andere Kollege hier bestimmt.
Wir haben ja nicht versucht, es geheim zu halten.«
»Könnten auch die Kunden bemerkt haben,
dass Sie sich besonders gut verstanden?«
»Wenn Menschen zusammen arbeiten, die sich
auf diese Weise gut verstehen, dann ist die Atmosphäre an der Theke eine andere
als sonst. Ich kann nicht ausschließen, dass die Leute bemerkt haben, dass wir gerne
miteinander arbeiten«, sagte sie dann gedehnt.
»Glauben Sie, Claudine hat ihre Freundschaft
mit Ihnen bei den Studenten erwähnt?«
»Mann, Sie stellen aber Fragen! Wenn wir
uns begegnet sind, hat sie mich immer herzlich begrüßt – egal, wer dabei war. Da
mag auch mal ein Student mitbekommen haben, dass wir uns kennen.«
»Ihre Freundin hatte Angst«, wechselte Nachtigall
das Thema.
»Ja. Sie mochte keine Fremden«, antwortete
Heide schlicht.
»Warum sucht sich jemand, der Angst vor
Fremden hat, ausgerechnet einen solchen Job? Wenn man hier etwas im Überfluss hat,
dann doch Kontakte zu Fremden«, fragte Nachtigall verständnislos.
»Wie man’s nimmt«, antwortete Heide Fischer
zu seiner Überraschung. »Es ist eine Frage der Interpretation. Es handelt sich ja
nicht wirklich um Kontakte, was bei uns abläuft. Der Kunde bestellt, wir packen
ein und rechnen ab. Kaum hat der Kunde seine Tüte in der Hand und wendet sich zum
Gehen, hat er Gesicht und Figur der Bedienung schon vergessen, und auch ich könnte
den Kunden nicht mehr beschreiben, ich bediene schon den nächsten. Es muss schon
jemand sehr häufig kommen, ehe sich ein Kontakt daraus ergibt – oder er muss eben
völlig verschroben sein. Dann bleibt er natürlich auch im Gedächtnis.«
Nachtigall dachte an seinen Besuch bei dem
Säbelfreund. »Ein paar der auffälligen Kunden haben wir im Rahmen der Ermittlungen
schon besucht.«
»Na, dann wissen Sie ja, wovon ich spreche.«
»Demnach versuchte Claudine nicht, sich
vor jemandem zu verstecken.«
»Nein. Sie hatte eine eher fatalistische
Einstellung zu diesem Problem. Sie ging davon aus, gefunden zu werden. Es ließe
sich nicht verhindern, meinte sie. Aber in ihrem Denken kam es darauf an, vorbereitet
zu sein. Es galt, die Gefahr zu registrieren und sich so retten zu können.«
»Manche beschreiben Claudine als entschlossen
– war sie das?«
»Ja. Das ist richtig. Selbstbewusst und
entschlossen.«
Peter Nachtigall sah Heide Fischer lange
forschend an.
»Sie verschweigen mir etwas. Sehen Sie,
ich bin lange genug bei der Polizei, um das zu bemerken. Und ich muss Sie warnen:
Da draußen läuft ein eiskalter Killer herum, der es auf Menschen aus Claudines Umfeld
abgesehen hat. Er tötet sie nicht nur, er verstümmelt ihre Leichen. Die junge Frau,
die wir heute Morgen
Weitere Kostenlose Bücher