Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)

Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)

Titel: Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Steinhauer
Vom Netzwerk:
Als ich mit ihr sprach und ihr meine
Version der Vorgänge schilderte, brach sie in Tränen aus, und so kam die gesamte
Wahrheit ans Licht. Der Sohn ist zurzeit in einer psychiatrischen Klinik untergebracht.
Schubert wird mir das nie verzeihen – und ich werde ihm nie verzeihen, dass er versucht
hat, mich zu überreden, die Ergebnisse umzudeuten und den Überfall einem Rechten
anzuhängen, weil die ›sowieso über kurz oder lang so was machen‹. Mit mir nicht!«
    »So war das also. Ich behalte es für mich«,
versicherte der Kriminalhauptkommissar und dachte an das Disziplinarverfahren gegen
Schubert. Vielleicht hatte es ja mit diesem Fall zu tun. »Was wurde aus dem Ehemann
der getöteten Freundin?«
    »Er hat sich umgebracht.«

57
     
    Unterwegs
     
    Die Überfahrt wurde für die hilflosen, zusammengepferchten
Frauen zur Hölle.
    Die Männer, deren Obhut man sie anvertraut
hatte, kannten weder Mitleid noch Gewissen. Frei von jedwedem Schuldgefühl, ohne
lästig mahnende Stimme des Gewissens, taten sie mit der lebenden Fracht, was ihnen
beliebte, so oft es ihnen einfiel.
    Bei der Übergabe an den Fahrer, Fritz Jakobowski,
der den Weitertransport über Land sichern sollte, wurde offenbar, was sie dabei
angerichtet hatten.
    Kaum eine der Frauen konnte mehr aufrecht
stehen, viele hatten Schwellungen und Platzwunden im Gesicht, Prellungen an Armen
und Beinen.
    »Ihr solltet sie heil hier abliefern!«,
brüllte der Kontaktmann die Seeleute an. »Und was bringt ihr mir an? Frauen, die
vor Schmerzen kaum mehr gehen können, mit blutunterlaufenen Schwellungen im Gesicht,
blutenden Wunden. Der dort drüben habt ihr wohl den Arm gebrochen! Fünf fehlen!
Was habt ihr mit denen gemacht? Gefressen? Wimmern und Schluchzen ist fast normal
nach einer Überfahrt mit euch – manche werden auch bei euch schon völlig abgestumpft.
Aber dieses Elend hier ist ja wohl der Gipfel! Wie sollen die denn arbeiten?«
    Selbstbewusst baute sich der Kapitän des
Frachters vor ihm auf.
    »Es war Teil des Kontrakts«, behauptete
er und forderte emotionslos den Rest der Entlohnung für die Passage.
    »Du wagst es auch noch, Geld zu fordern?«,
empörte sich der Fahrer mit drohendem Unterton.
    »Klar! Wenn du nicht zahlst, verpfeifen
wir den Transporter«, grinste der vierschrötige Seemann, der Bauernschläue mit Intelligenz
verwechselte und die Kaltblütigkeit seiner Geschäftspartner völlig falsch einschätzte.
    Fritz Jakobowskis Lächeln war das Letzte,
was Kapitän und Besatzung in diesem Leben noch zu Gesicht bekamen.

58
     
    Michael Wiener lud seine Freundin Marnie in den ›Stadtwächter‹
ein.
    Das angesagte Lokal an der Stadtmauer war
klein, die Treppe schmal. Es gab nur wenige Tische, und so waren sie glücklich,
einen im oberen Stockwerk ergattern zu können.
    Bekannt war der ›Stadtwächter‹ für seine
urige Atmosphäre und seine üppigen Schnitzelportionen in allen möglichen Varianten,
doch die Karte hielt viel mehr als das zur Auswahl bereit.
    Die Entscheidung war schnell getroffen.
    Während sie auf ihre Bestellung warteten,
erzählte Wiener vom Vortrag Robin Langs zum Thema Voodoo. Noch immer war ihm seine
Begeisterung für diese fremde Religion deutlich anzumerken.
    Fasziniert hörte Marnie zu.
    »Und da glauben wir immer, Individualität
wäre unglaublich wichtig! Andere Kulturen finden gar nichts dabei, dass ihr Körper
nur ein Gefäß für einen Geist ist – einen austauschbaren!« Sie hob mahnend den Finger
und Wiener seufzte. Heute kein Badisch. Er hatte es versprochen. Marnie wollte nicht
auffallen.
    »Ich versuche schon die ganze Zeit mir vorzustellen,
wie sich das anfühlt. Deine Seele rückt zur Seite und macht einem Geist Platz, der
jemandem gehört, der vielleicht völlig anders ist als du selbst. Stell dir vor,
du bist schüchtern und verwandelst dich plötzlich in eine sexgierige Nymphomanin.«
    »Ja«, lachte Marnie. »Wenn das bei uns passiert,
kann man sich vor dem Getuschel der Leute kaum mehr retten. Dort ist es ganz normal.«
    Michael Wiener prostete ihr zu und zwinkerte.
»Wäre mal eine ganz interessante Erfahrung. Marnie als sexgierige Nymphomanin –
für einen Abend – nur für mich …«
    »Das könnte dir so passen!«, schüttelte
sie in gespielter Empörung den Kopf.
    »Aber auf der anderen Seite – ein Leben
lang Angst davor haben zu müssen, von irgendjemandem in einen Zombie verwandelt
zu werden. Wenn ich mir das genau überlege, kannst du dich in dieser Religion nie
sicher fühlen. Ist

Weitere Kostenlose Bücher