Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
Dingen: Würden Sie mein Trauzeuge
sein?«, schoss er seine Frage wie ein schweres Geschütz ab und keuchte erleichtert,
als er sah, wie der Gerichtsmediziner nachdenklich nickte.
»Wann?«
»Nun, da genau liegt das Problem«, und Nachtigall
erläuterte ihm seinen geheimen Plan.
Bei einem zweiten Tonic und einem weiteren Cocktail für
den Rechtsmediziner kamen sie zum Fall zurück.
»Jede Nacht gehe ich voller Sorge schlafen,
weil ich fast sicher bin, dass wieder jemand getötet wird. Ich kann diese Studenten
nicht verstehen. So ein schrecklicher Leichtsinn!«
»Sie haben wahrscheinlich in der Vergangenheit
schon Kontakte mit der Polizei gehabt, die nicht so positiv waren. Daher rührt ihr
Misstrauen. Außerdem glauben sie in dem Alter, dass sie alle Schwierigkeiten selbst
bewältigen können. Hilfe von außen, gar von einer staatlichen Behörde, ist ihnen
ein Gräuel.«
»Stattdessen laufen sie im Dunkeln draußen
rum und entkommen nur knapp dem Mörder. Unglaublich! Und da sie nicht mit uns zusammenarbeiten,
erfahren wir nicht, was sie wissen. Mich quält die fixe Idee, diese Studenten kennen
den Täter und decken ihn, weil sie der Meinung sind, solch ein Fehlverhalten könne
man durch Gesprächskreise kurieren«, schnaubte Nachtigall.
»Ihr Blutdruck ist nicht in Ordnung«, stellte
Dr. Pankratz mit medizinischem Blick fest. »Wenn Sie noch lange Freude an Ihrer
neuen Ehe haben wollen, müssen Sie den Blutdruck besser einstellen lassen, und ein
bisschen abnehmen wäre auch keine schlechte Idee.«
»Ich arbeite daran«, versicherte der Hauptkommissar
und fragte unvermittelt: »Was für einen Ärger gab es denn zwischen Ihnen und Jens
Schubert? War nicht zu übersehen, dass Sie beide sich nicht ausstehen konnten.«
Selbst in dem diffusen Licht des Restaurants
erkannte Nachtigall, dass Dr. Pankratz schon bei der Erwähnung des Namens dunkel
anlief.
»Dieser Mensch! Hat man das so deutlich
bemerkt?«
»Ja. Ich wusste bis dahin gar nicht, dass
Sie so verärgert reagieren können.«
»Tja. Nun wissen Sie’s.«
Nach einer langen Pause entschloss sich
der Rechtsmediziner dann doch zu einer Erklärung.
»Also gut. Aber das muss unter uns bleiben.
Nicht auszudenken, welche Schwierigkeiten ich bekäme, wenn sich solch eine Peinlichkeit
herumspräche.«
Nachtigall sah sein Gegenüber gespannt an.
»Es ist jetzt ein knappes Jahr her, da wurde
die Freundin seiner Lebenspartnerin überfallen, vergewaltigt und getötet. Eine Frau
Edith Chang. Schubert lebt mit einer Asiatin zusammen. Wir nahmen Abstriche und
begutachteten die entstandenen Verletzungen, Hämatome und so weiter. Die ganze Zeit
über lief Schubert rum und verkündete seine Auffassung, Frau Chang sei von Rechten
überfallen worden, die eben der Meinung seien, Asiatinnen müssten dem Mann bedingungslos
zu Willen sein, und deshalb gerade diese Frauen bevorzugt als Opfer auswählten.
Ich wurde hinzugezogen und sollte zu den Befunden Stellung nehmen. Ich vermaß gründlich
alle Abstände zwischen den Fingerspuren und kam zu dem Ergebnis, dass ein sehr zierlicher
Täter zugefasst haben musste. Die Abstriche enthielten zwar Spermien, aber nur wenige.
Eindeutige Hinweise auf eine Vergewaltigung konnten wir nicht entdecken. Schubert
behauptete, Lia, seine Lebenspartnerin, spräche nicht gut Deutsch und könne deshalb
keine Aussage machen – doch das stimmte nicht. Allerdings fanden wir das erst später
raus. Schubert erklärte uns, Lia stünde unter Schock. Es sei nicht der erste Fall
von Fremdenfeindlichkeit, behauptete er. Es seien Vergewaltigungen vorgekommen,
und man sei sich sicher, der Neonazi aus der Nachbarschaft wäre der Täter. Wir sollten
uns bei der Analyse ordentlich Mühe geben, dann könnte der Kerl nun auch endlich
dingfest gemacht werden. Nun gut. Am Ende stellte sich Folgendes heraus: Im Haushalt
der Changs lebte zu jener Zeit noch der pubertäre Sohn der Freundin Lias aus erster
Ehe. Der Vater starb kurz nach der Geburt des Sohnes an den Folgen eines Zeckenbisses.
Lia selbst war einige Wochen zuvor von diesem Sohn beim Aufhängen der Wäsche überwältigt
und oral vergewaltigt worden. Sie zeigte ihn aus Rücksicht auf ihre Freundin nicht
an. Doch ganz offensichtlich nahm der Konflikt zwischen Mutter und Sohn eine dramatische
Wendung, der Sohn ermordete seine Mutter. Kein ausländerfeindlicher Hintergrund
– sondern ein Mord unter Ausländern. Ich fand diese Katastrophe heraus. Lia versuchte
zunächst, den Sohn der Freundin zu decken.
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