Wortstoffhof
gewahrt er an der Ecke einen Mann in einem Mantel, ihm war’s, als ob er ihm gewunken – an der andern Ecke sieht er auch einen Mann, ihm deucht’, als hätt’ er ihm gewinkt , unentschlossen steht er da, er weiß nicht, soll er dem folgen, der ihm gewinkt , oder dem, der ihm gewunken – da öffnen sich plötzlich die Fenster -‹«
Ja, nun, ich vertiefte mich aus diesem Anlass in die Geschichte des Verbums »winken« und lernte erst einmal etwas über das ewige Ringen zwischen starken und schwachen Verben, das mir – wie den meisten am Grammatischen nicht übermäßig interessierten Menschen – nicht mehr so präsent war, wie es sein sollte.
Also, bitte: Starke (oder unregelmäßige) Verben sind »trinken, trank, getrunken« oder »sinken, sank, gesunken«. Schwach (oder regelmäßig) nennen wir die Tuwörter »blinken, blinkte, geblinkt« oder »hinken, hinkte, gehinkt«. Aber im Laufe der Geschichte wandeln sich immer mehr starke in schwache Verben, die schwachen verdrängen die starken, eigentlich sind am Ende die schwachen die stärkeren Verben, ein verkehrter Darwinismus. Warum? Weil Sprachen eine Tendenz zur Vereinfachung haben, und es ist nun mal einfacher »schminken, schminkte, geschminkt« zu konjugieren als »schminken, schmank, geschmunken«.
Was aber nun unser liebes »winken« angeht, so war es – meinem Grimmschen Wörterbuch zufolge – anfangs sogar ein schwaches Verb, das aber die Menschen bereits im Mittelhochdeutschen und auch später immer wieder versuchten, stark zu konjugieren, vor allem in der Umgangssprache und den Dialekten, auch im Imperfekt natürlich. »Da wank er den dienern«, heißt es in einer Quelle noch im 19. Jahrhundert, und zweihundert Jahre vorher schrieb einer: »Als er denn wangk , sie soltten zu ime reitten.« Bei Luther heißt es über den Papst: »Wenn er nur mit einem finger gewinckt hat, so haben sich für ihm keiser, könig, fürsten etc. müssen förchten, demütigen und bucken.« Ludwig Uhland aberschrieb viel später noch von den »lichtgestalten, die uns gewunken «.
So ging das im Laufe der Jahrhunderte immer hin und her mit dem »winken«, mal zogen sie hier, mal zogen sie da, bis »gewunken« schließlich doch wieder ins Umgangssprachliche herabsank – so schreibt man nicht, so redet man bloß. Freilich ist ja noch die Frage, ob unsereiner sich irgendwas verbieten lässt, und sei es vom Duden. Und ob wir einfach so mit ansehen wollen, wie die langweiligen, immer gleichen Schwachverben unsere schönen starkdeutschen Formen fressen. Wenn man sich mit der Sache ein wenig befasst hat, möchte man am liebsten sogleich eine Gesellschaft zur Stärkung der Verben gründen, muss aber dann entdecken, dass es eine solche längst gibt, im Internet zu finden unter www.soviseau.de/verben. Hier kämpfen verständige Menschen gegen die Versimpelung so schöner schwacher Wörter wie bersten (barst!, geborsten!) oder glimmen (glomm!, geglommen!). Sie treten für das Unregelmäßige und gegen die Regelmäßigkeit ein. Sie sind auch dafür, dass man längst geschwächte Verben stärkt, dass man sich also für »blühen« ebenso neue Vergangenheitsformen ausdenkt (bloh, geblohen) wie für »decken« (dak, gedocken) und »knipsen« (knops, geknopsen).
GRIAGN SIE’S SCHO?
Ich stehe vor einem Verkaufstresen im Elektrokaufhaus. In meiner Nähe steht ein Herr, der sich mit einer Dame auf Englisch unterhält. Dann geht die Dame, und der Herr steht etwas unschlüssig vor dem Verkaufstresen herum.
Hinter dem Tresen erscheint nun ein junger, sehr großer und unglaublich dicker, pickliger Mann in einem verwaschenen T-Shirt. Er wischt mit der Hand über die Tresenplatte, dann sortiert er mit fahriger Gebärde ein paar Schachteln, darauf wendet er sich dem Herrn zu, der gerade noch englisch gesprochen hat und nun einige Kartons mit Elektrogeräten neben dem Tresen betrachtet. Und fragt ihn: »Griag’n Sie’s scho?« (Was auf Hochdeutsch ungefähr heißt: »Bekommen Sie bereits?« Oder: »Werden Sie schon bedient?«)
Der Herr reagiert überhaupt nicht und schaut weiter die Kartons an.
Der T-Shirt-Träger sagt noch einmal und nun mit lauterer Stimme: »Griag’n Sie’s scho?«
Wieder reagiert der Angesprochene in keiner Weise.
Ich sage zum Mann hinter dem Tresen: »Sie, ich glaube, der Herr ist Engländer, er versteht kein Deutsch, nur Englisch, Sie müssen englisch mit ihm reden.«
Hierauf nun sagt der Elektrokaufhaus-Angestellte in Richtung des Herrn: »What do you
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