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Wortstoffhof

Wortstoffhof

Titel: Wortstoffhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Hacke
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sie, sie habe es geholen.
    Am schönsten ist das Partizip, das sie zu heiraten bildet. Heigeratet.
    Ich muss an meinen Grammatikunterricht in der Schule denken, der mich so langgeweilt hat, dass ich noch heute beim Gedanken daran sterben könnte. Wenn ich Grammatik unterrichten müsste, würde ich die Schüler bitten, möglichst viele schöne möglichst falsche Partizipien zu bilden. Das ist mein Ansatz: Schönheit geht vor Richtigkeit, Sprachspaß vor correctness . Ich bin aber sehr froh, dass ich nicht Grammatik unterrichten muss.
    Der Hirnforscher sagte, er könne den Interviewern sofort beweisen, dass auch deren Unterbewusstsein die Regel mit den Partizipien auf »-ieren« beherrsche. Er forderte sie auf, das Partizip von »quangen« zu bilden.
    »Gequangt«, sagten die Interviewer.
    »Und von ›patieren‹?«, fragte der Hirnforscher.
    »Patiert.«
    »Sehen Sie!«, sagte der Hirnforscher, so gehe das. »Sie können Wörter beugen, die es nicht mal gibt.« Das Gehirn habe eben nicht alle je gehörten Wörter gespeichert und abrufbar gehalten, sondern selbst eine Regel gebildet, die es bei Bedarf richtig anwende.
    Quangen, dachte ich. Patieren. Sehr schön. Ob es diese Wörter nicht gibt, ist noch die Frage. Sie stehen ja da, auf dem Papier. Und etwas, das dasteht, das gibt es auch. Die Wörter haben vielleicht keine Bedeutung, aber Wörter sind sie trotzdem. Möglich, dass sie eines Tages eine Bedeutung bekommen. Jeden Tag entstehen ja neue Bedeutungen, dafür braucht man Wörter. Quangen und patieren stehen bereit.
    Und es gibt Wörter, deren Bedeutung man nie kennenlernt, obschon sie zweifelsohne eine haben müssen . In vielenJahren der Fernsehserie Derrick habe ich nie verstanden, was ein Wagenharry ist. Immer wieder ordnete Derrick an, »schon mal den Wagenharry« zu holen. Aber nie sah ich ihn. Dabei muss es ihn doch geben. Oder jedenfalls gegebt haben.
    Die Sophie hat neulich das Wort halixen erwähnt. Oder halicksen ? Oder Halicksen ? Das hat sie nicht gesagt. Sie hat auch nicht gesagt, was das Wort bedeutet, ob es ein Substantiv oder ein Verb ist, dessen Partizip hagelixt oder gehalickst lauten könnte. Sie hat gekichert und gesagt, das sei ein Geheimnis. Da müsse noch viel sprachgeforscht werden, um es herauszubekommen. (Na gut, das hat sie nicht gesagt, das war ich jetzt.)
    Über Plurale müssten wir auch mal reden. Ein Mann, zwei Manne, sagt Sophie. Und dann aber, seltsam: ein Tengelmann, zwei Tengelsmann.
HARTLEIBIG
    In der Zeitung stand, die SPD-Politikerin Andrea Nahles habe der CDU versprochen, dass die SPD »hartleibig weiter für den Mindestlohn« kämpfen werde. Ja, nun, dachte ich, die Kämpfe der Hartleibigen kennt ja fast jeder aus eigener Erfahrung, ihr Stöhnen und Pressen dringt oft durch verschlossenste Türen. Aber war es je ein Kampf für den Mindestlohn? Was bedeutet es, jemand anders hartleibigen Kampf zu versprechen? Dass man sich nicht bewegen wird? Aber Bewegungsarmut ist doch erst die Voraussetzung für Hartleibigkeit, nicht ihre Folge.
    Jedenfalls dachte ich angesichts einer so kargen, ballaststoffarmen Sprache zurück an jene goldenen Jahre, in denen die SPD auch sprachlich von Franz Müntefering repräsentiert wurde, der einst als SPD-Vorsitzender ausgerechnet von Frau Nahles gestürzt wurde, wenn auch vielleicht eher ungewollt. Nie wird mir jener Satz aus dem Kopf gehen, den Müntefering nach einer Landtagswahl 1999 an Rhein und Ruhr (sie war für die Sozialdemokraten nicht ganz schlecht ausgegangen) sprach: »Die schwarzen Bäume wachsen nicht in den Himmel, die rote Sonne ist noch da.«
    Welch poetische Kraft, welch bilderreiche Verrätselung lag in diesem Satz! Manches gemahnte an Trakl (»in roter Sonne verbrannte ein Baum; aufflattern mit dunklen Gesichtern die Fledermäuse«), anderes an Peter Huchels Krähenwinter :
    » Schwarzes Laub, das flatternd schreit,
    säumen sie die Dunkelheit.«
    Gleichzeitig aber kam einem Rudi Schuricke in den Sinn: »Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt.«
    In jedem Fall: Hier war ein Mann, der – damals noch nicht mal Generalsekretär – sich schon auf der Höhe seiner Sprachmacht befand, in unnachahmliche Weise Expressionistisches mit Volkstümlichem verknüpfend, ein großer Formulierer, der einen dritten Weg zwischen der Sprache der Hartleibigkeit und dem Sprechdurchfall vieler Politiker gefunden hatte.
    Und er fand seine Schüler, Männer wie Harald Schartau zum Beispiel, jahrelang Chef der SPD in Nordrhein-Westfalen.

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