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Wortstoffhof

Wortstoffhof

Titel: Wortstoffhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Hacke
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meinen Vortrag und verfeinerte ihn so erheblich. Kaum war ich fertig, sagte mein Gegenüber: »Ah, menisco!«
    »Noooo!«, schrie ich den Verdutzten verzweifelt an. »Niente menisco! Menisco va bene!«
    Ich setzte mich auf der Piazza ins Café und trank einen Cappuccino. Meine Krücken lehnte ich an einen Stuhl. Ein Bekannter kam vorbei. Ich ratterte meine zwei Sätze hinunter. Er antwortete: »Ah, menisco!« Wie wäre es, dachte ich, wenn die Italiener und ich einen Vertrag schlössen: Bis zum nächsten Jahr verbessern sie ihre medizinischen Kenntnisse, ich lerne dafür Italienisch. Dann überlegte ich, ob ich es machen sollte wie die Taubstummen, die in Lokalen Feuerzeuge und Zettel auf jeden Tisch legen, auf denen steht: »Bin taubstumm und verkaufe das Feuerzeug für drei Euro.« Ich könnte einen Zettel mit mir führen, auf dem stünde: »Ho sofferto una rottura …« Mit dem Zusatz: »Il menisco è intatto.« (Der Meniskus ist intakt.)
    Bald kam Luis mit zwei Freunden vorbei. Er rannte weiter, um auf der Piazza Ball zu spielen. Die Freunde fragten, ob sie meine Krücken leihen dürften. Ich erlaubte es. Sie übten Krücken-Gehen und benutzten die Dinger als Gewehre, bis Luis mitspielen wollte.
    Drei Buben, zwei Krücken.
    »Er ist mein Vater! Es sind meine Krücken!«, schrie Luis.
    »Aber er hat sie uns geliehen!«, schrien die anderen.
    Sogleich entbrannte eine Schlägerei, bei der die Kinder mit den Krücken aufeinander einhieben. Einen Moment lang wünschte ich mir drei Beine, drei Arme, drei Krücken. Dann hinkte ich zu den Kindern, um ihnen die Dinger abzunehmen. »Geht Fußball spielen!«, sagte ich. Ging an Krücken zurück zu meinem Kaffee. Vorbei an einem Tisch mit einem Bekannten. Was ich für eine Verletzung hätte, fragte er. Ich setzte zum 35. Bulletin an, stoppte dann und sagte nur kurz: »Ah, menisco.«
MENSCH
    Wahlkampfzeiten erkennt man daran, dass plötzlich immerzu von »den Menschen« die Rede ist.
    »Die Menschen«, das sind wir, oder?
    Der Thüringer CDU-Generalsekretär Mohring hat zum Beispiel in einem Wahlkampf gesagt: »Wir müssen den Menschen vermitteln, dass wir sie mitnehmen.« Und von Angela Merkel hat man damals gelesen, sie finde es wichtig, »die Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit abzuholen«. Dazu mal eine Bemerkung: Wir möchten nicht abgeholt werden. Wir möchten auch nicht mitgenommen werden, zu keiner Uhrzeit. Wir bleiben, wo wir sind. Wir reisen, wohin wir möchten. Wir lassen uns nur von Leuten mitnehmen, die wir mögen. Damit das klar ist.
    In der Lebenswirklichkeit abholen! So weit kommt’s noch.
MISCHDÜNGER
    Herrn E. aus Wuppertal wurde eines Tages während eines Urlaubs auf Rhodos eine Nachspeise namens »Mischdünger« angeboten, seltsam, aber wahr. Ich berichtete darüber, worauf mich Herr A. aus München, »altfilologe und grieche«, brieflich auf die »total verschiedene etymologie und ursprüngliche bedeutung der Wörter ›Kompost‹ und ›Kompott‹« hinwies. Kompost , das in allen europäischen Sprachen (außer in Deutsch und Französisch) Nachtisch bedeute, komme vom lateinischen compositio , also Mischung . Das liege daran, dass die Römer als Nachspeisen allerhand Käse, Nüsse, Früchte zu sich genommen hätten, und zwar in allen Variationen und Mischungen. Kompost, so A., sei also »die richtige bezeichnung« für Nachtisch. Kompott hingegen gehe auf das lateinische compotor zurück, das ist der Zechgenosse . Das liege daran, dass man zu Zeiten der Franken und Germanen ein Mahl nicht mit einem Nachtisch, sondern einem Besäufnis beendet habe.
    Sodass wir also heute, möchte ich anfügen, wenn wir Kompott essen, in Wahrheit Kompost (oder eben Mischdünger) speisen, wenn wir das Essen aber mit einem Schnaps beenden, in Wirklichkeit Kompott zu uns nehmen.
MITTE
    Über das Wort »Mitte« macht sich unsereiner ja normalerweise keine großen Gedanken, die Mitte, nun ja, sie ist eben in der Mitte.
    Und? Weiter?
    Dann habe ich aus irgendeinem Grund jahrelang aus den Zeitungen Sätze ausgeschnitten, in denen das Wort »Mitte« vorkam. Und jetzt kann ich sagen: Je mehr Sätze ich hatte, desto weniger wusste ich, was das ist: Mitte. Ehrlich gesagt, glaube ich, kein Mensch weiß das.
    Im Jahr 2002 veranstaltete die SPD zum Beispiel einen Kongress über »Die Mitte in Deutschland«. Vor dem Kongress hatte die Partei in Inseraten behauptet, die Mitte sei rot. Kaum aber hatte der Kongress begonnen, sagte Gerhard Schröder zu seinem Müntefering: »Sie ist doch

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