Wortstoffhof
faltbaren Kinderwagen nur mit drei Händen auseinanderfalten kann.)
Paola hatte ein Baby-Wörterbuch gekauft, da trug man das richtige deutsche Wort ein und auf der anderen Seite das, was das eigene Baby dazu sagt. Umgekehrt ging es leider nicht, man konnte also nicht Hängü, Ababkih, Abábetschih, Krodgra, Guhdgäh und Nuna nachschlagen und sehen, was Sophie damit vielleicht doch gemeint haben könnte.
Paola schrieb also links das deutsche Auto , rechts Oddo , das war sophiehisch. Links Arm , rechts Amm . Links Hunger , rechts Unga .
Ein paar Wörter hatte der Wörterbuch-Verlag schon vorgedruckt, aber man wunderte sich, was die Kinder von Wörterbuch-Redakteuren anscheinend so alles können. Sie haben Wörter für Indianer, Qualle und Xylofon, da kommen wir nie hin. Woher soll ich eine Qualle oder einen Indianer bekommen, damit sich Sophie ein Wort dafür ausdenken kann?
Einmal stand die Sophie am Fenster und schaute hinaus. Plötzlich schrie sie aufgeregt: »Naum! Naum! Naum!« Und zeigte mit dem Finger hinaus.
Ich sah nichts, was sie hätte meinen können. Worum ging es ihr? Wollte sie nach Naumburg reisen? Ging ein Herr namens Naum die Straße entlang? Oder (vielleicht weil damals ein Mädchen aus der Mongolei in Luis’ Klasse ging und oft bei uns zu Besuch war) könnte Naum zum Beispiel das mongolische Wort für jenes spezifische halbstündige Dämmerlicht kurz vor Einbruch der richtigen Dunkelheit sein?
Nach einer Viertelstunde erst verstand ich: Da unten spielte eine Katze, und die Katzen machen Miau, und das heißt eben Naum bei Sophie. Oder, bitte, wenn wir zusammen noch einmal genau hinhören: Machen die Katzen nicht in Wahrheit Naum ? Naaaaaum …?
NICHTS
Eines Tages rief Herr S. aus Überacker die Homepage eines großen Buchversandhändlers auf und wurde dort folgendermaßen begrüßt:
»Willkommen, ! Hier sind Ihre persönlichen Empfehlungen. (Wenn Sie nicht sind, klicken Sie bitte hier.)«
So etwas kann einen ins Grübeln stürzen. Da ist dieses Komma nach dem »Willkommen« (ein Willkomma sozusagen) und der kleine Zwischenraum vor dem Ausrufezeichen, der einem das Gefühl gibt, der Buchversandhändlercomputer hätte einen gern mit Namen begrüßt, dann sei ihm aber der Name nicht eingefallen – irgendwie tröstlich, nicht wahr?: dass auch ein Buchversandhändlercomputergedächtnis nicht perfekt ist und dass es dieser Unperfektion sogar Ausdruck gibt durch ein Komma und einen Zwischenraum.
Übrigens erinnert mich dieses Komma an ein anderes Komma, ein fehlendes. Herr B. aus Sonthofen schickte Post, in der er von einem Erlebnis im Supermarkt berichtete. B. füllte dort große Mengen von Pfandflaschen in den Pfandautomaten, bis dieser, wie oft, blockierte und die Arbeit einstellte. Anschließend hörte B. plötzlich aus dem Lautsprecher die Durchsage: »Frau Z. hat sich erledigt, Frau Z. hat sich erledigt, vielen Dank!«
Auch hier: Grübeln. Wer war Frau Z.? Warum hat sie sich erledigt? Wegen des ewig kaputten Pfandautomaten? Warum bedankte sich die Lautsprecherstimme dafür, dass Frau Z. sich selbst erledigt hatte? Wo überhaupt? ImPfandautomaten? Hatte der Pfandautomat am Ende blockiert, weil Frau Z. … Ächz!
Die Lösung lag im fehlenden Komma. Der Ansager hätte es quasi mitsprechen oder durch einen kleinen Zwischenraum ersetzen müssen: »Frau Z., hat sich erledigt, vielen Dank.« Dann wäre klar gewesen, dass die Ansage sich an Frau B. richtete: Danke, Frau Z., Sie müssen wegen des vorhin besprochenen Problems nicht mehr kommen, es hat sich erledigt: das Problem.
Zurück zum Buchversandhändler. Auch hier lauert in einem winzigen Satz das Grauen: »Wenn Sie nicht sind, klicken Sie bitte hier.«
Man fragt sich: Warum sollte ich nicht sein? Ich sitze hier! Und wenn ich nicht wäre, wie könnte ich klicken? Was geschähe, wenn ich nicht wäre, aber dennoch klickte? S. tat’s, er klickte, hier – worauf ihn der Buchversandhändler zur Anmeldung aufforderte – vollends absurd, denn was sollte ein Nicht bestellen? Joachim Fests unter dem Titel Ich nicht erschienene Erinnerungen?
Dann las ich ein Interview mit dem Physiker Günther Hasinger, der sich mit Fragen der Weltentstehung beschäftigt. Hasinger sagte: »Wir müssen uns von der Vorstellung frei machen, das Nichts sei leer. Im Gegenteil: Das, was wir als Nichts bezeichnen, ist der höchste Energiezustand des Universums. Es ist an manchen Stellen bis zum Zerreißen mit Spannung erfüllt, ähnlich wie die Schoten der
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