Wortstoffhof

Versicherungsrechnung folgende Sätze: »Um die international erfolgreiche Marke ›Zurich‹ zu stärken, verzichten wir auf die im deutschen Sprachgebrauch üblichen Ü-Punkte in der Schreibweise: aus Zürich Versicherung Aktiengesellschaft (Deutschland) ist jetzt Zurich Versicherung Aktiengesellschaft (Deutschland) geworden. Für Sie ändern sich dadurch weder die Vertragsinhalte noch Ihr Betreuer vor Ort.«
    H. fragt, ob nun demnächst auch München zu Munchen werde, dann Nurnberg und Furth folgen würden, ah, wurden – oder ob es noch Hoffnung für die Umlaute gebe …
    Ich glaube es nicht, Herr H. Die Älteren unter uns erinnern sich ja noch an die Zeiten, als wir das Öktöbärfäst feierten. Alles dahin, nur um die internationale Marke zu stärken: Oktoberfest. Und die Zelte sind voll mit Australiern, Italienern, Amerikanern, Engländern – alles Leute, denen unsere Umlaute schnurzegal sind, nur unser Bier wollen sie.
    Haben wir nicht unsere Säle verkauft?
ON TOUR
    Einmal, das ist schon eine Weile her, wohnte ich in Berlin im Hotel. Auf dem Nachtkästlein lag: Bonnes Vacances – Zeitschrift für VIP-Reisen. Ich blätterte vor dem Einschlafen darin. Die Chefredakteurin schrieb an die Leser: »Ich war für Sie ›on tour‹ in Gebieten, die beeindruckend waren und die ich Ihnen gern ans Herz legen würde.«
    Welche Gebiete würde Bonnes Vacances an mein Herz legen, dachte ich. Wo mag die Redaktion »on tour« gewesen sein? Ich entdeckte, dass sie die halbe Welt bereist hatte, das Golf-Eldorado Arizona zum Beispiel, wo man »traumhaft einlochen und abschlagen« kann (in der Reihenfolge!), Arizona, »das Paradies für spektakuläre Abschläge und wo der Gold-Rausch zum Golf-Rausch wurde – mit den Indianern auf DU und DU«, so die Überschrift.
    Auch erreichte eine Bonnes-Vacances -Expedition die kroatische Insel Susak, »die überwiegend aus Gestein und Erde besteht«, sowie ein Eiland, über das ich las: »Herrliche, einsame Strände findet man auf der Insel Dugiotok, dessen Leuchtturm mit 100.000 Eigelb zusammengekittet worden sein soll; außerdem leben hier Mufflons.«
    In Riga fand man heraus: »Essen hat in Lettland eine lange Tradition.«
    Über Los Angeles: »Die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung ist außergewöhnlich. Ohne Auto und einen guten Stadtplan ist hier nichts zu machen.«
    Die Malediven? Darüber dieses: »200 Korallenarten gibt es im Gebiet der Malediven, die ideale Bedingungen finden,um sich vermehren zu können, nämlich Wassertemperatur, Licht und Nährstoffe.« Kleine Krebse lebten da, »die um ihr Leben rennen, sobald sie einen entdecken« – in heller Furcht, von Bonnes Vacances beschrieben zu werden, nehme ich an.
    Ich dachte: Wie groß die Vielfalt der Welt ist! Aber alle Vielfalt nützt nichts: Hier wird mit großem Einfaltspinsel immer das gleiche Bild gemalt. Wo Abgesandte von B. V. ankommen, beginnen sich die Dinge gespenstisch zu ähneln. Überall gibt es zum Beispiel einen Ort, der »zum Verweilen einlädt«, in Südafrika ist das »Victoria Falls Hotel«, in Split die Hafenpromenade, in Riga sind es die Spezialitätenrestaurants. Und irgendwas »pulsiert« immer, meistens das Leben (in Tunis und in Jerez de la Frontera), aber auch die Metropolen: Johannesburg, Kapstadt. Und stets gibt es was, das »besticht«: Karthago besticht »mit« seinen Ruinen, Bizerte besticht »durch« den alten Hafen, Sibenik besticht »durch« seine Lage, Rigas Altstadt besticht »mit« prächtigen Häusern, das Hotel »Downtown LA Standart« besticht »durch« außergewöhnliches Design.
    Wer bestochen wird, erfährt man nicht.
    Besticht einmal nichts, »fasziniert« etwas. Fasziniert nichts, »beeindruckt« etwas. Beeindruckt nichts, lässt etwas »so manches Herz höher schlagen«.
    Und immer ist alles »pur«. Auf den Malediven ist die Entspannung pur, in Arizona ist es das Golf-Spielvergnügen, im Thalassobad wieder die Entspannung.
    Bonnes-Vacances -Leute reisen mit 80 Wörtern um die Welt. Faszinierend, wunderschön, herrlich, farbenprächtig, stimmungsvoll, wunderbar, verträumt – das sind so die wichtigsten. Zwischen ihnen baumelt die Seele, immerzu baumelt irgendwo eine gottverdammte Seele! Wer hängt bloßüberall Seelen hin, dass sie so baumeln!? Ach, Tucholsky, hätten Sie das geahnt!
    Das Lieblingswort der Redaktion ist: malerisch. Nichts ist davor gefeit, malerisch zu sein, nicht Strände, nicht Hafenstädte, nicht Gassen, nicht Sonnenuntergänge, nicht Landschaften,