Wortstoffhof
persönliches Lieblingswort sei »Schluckrohr« anstelle von »Speiseröhre« oder »Ösophagus«.
Ist schon eine Weile her, dass M. mir schrieb. »Speiseröhre« habe ich seitdem nie mehr gesagt.
SCHREI-BECKEN
Ein wichtiger Geburtsort für interessante, nutzlose, aber doch vielleicht irgendwann noch einmal brauchbare Wörter sind Chats und E-Mails . Weil dort alles so schnell gehen muss und die Finger sich beim Tippen überschlagen, verschreibt man sich oft. Frau K. schreibt mir aus Augsburg zu diesem Thema, sie habe gerade von ihrer in England studierenden Schwester S. eine Mail bekommen, in der es heißt: »Ich muss mal schnell an die Uni. Noten abhogeln.« Frau K. schreibt mir dazu ihrerseits, sie gehöre »zu den Menschen, die immer versuchen, sich unter solchen sinnlosen Wörtern etwas vorzustellen«.
Das ist genau die Einstellung, die wir hier im Wortstoffhof so begrüßen. Nur ja nichts umkommen lassen! Vielleicht habe »abhogeln« ja etwas mit »hobeln« zu tun, schreibt Frau K. Das ist ein interessanter Ansatz. Man begibt sich an die Uni, um seine Noten ein wenig abzuhobeln, also niedriger zu machen, also zu verbessern. Also: um zu lernen. Ein schöner Ausdruck.
Noch ein Wort aus der Post von Frau K. Sie schreibt, obwohl sie bereits fast 30 Jahre alt sei, verrichte ihre Mutter noch diese oder jene Handarbeit für sie und habe neulich in einer Post mitgeteilt, sie müsse jetzt raus aus dem Internet, »ich muss noch deine Hopse nähen«.
Das ist nun ein geradezu Freudscher Verschreiber, verrät er doch viel über die Gefühle der Mutter, die sich offenbar wünscht, die Tochter wäre noch klein und würde um sie herumhopsen, statt fern von ihr zu leben und auf eine Jeansmit neuem Reißverschluss zu warten. Könnte das sein, Frau K.?
In einer E-Mail hatte ich mal das Wort »Putzeimer« zu schreiben, schrieb in der Eile aber »Putzmeier«, was ich nun wiederum ein ganz wunderbares Wort finde, weil es gleichzeitig ein Nachname sein könnte, eine Beleidigung für einen Hausmeister oder tatsächlich der Firmenname einer Gebäudereinigung. Wenn man »Putzmeier« bei Google eingibt, landet man zum Beispiel auf den Internetseiten des Bayerischen Fußball-Verbandes bei den Urteilen des Verbands-Sportgerichts, was eine gleichzeitig hoch amüsante und niederschmetternde Lektüre über den Alltag auf bayerischen Fußballfeldern ist.
In diesem Fall geht es um ein Verfahren, in dem ein Mann namens Putzmeier Roland vom SSV Wurmannsquick zum Schiedsrichter »Du pfeifst vielleicht einen Scheiß« gesagt und ihn dann mit einer Art Zidane-Kopfstoß verletzt haben soll. Das Gericht in der Besetzung Dr. Koch, Döbrich-Trifellner, Frey urteilte am 31. März 2001, dass erstens alles nicht stimmte und zweitens der Beschuldigte (und dann Freigesprochene) gar nicht Putzmeier Roland hieß, sondern Pfitzenmaier.
Man landet auch im Mieter-Chat der Bewohner der zu Miethäusern umgebauten vier Gasometer in Wien, schließlich auf einer Seite, den Football in Colorado betreffend, wo der Sportfreund Vernon Putzmeier die Meinung äußert, die Anhänger der University Colorado hätten ein Lektion in Sportsgeist dringend nötig. Kurz, mit dem Wort »Putzmeier« kommt man einmal um die ganze Welt, wer hätte das gedacht?
Zum Schluss noch Folgendes: Vor dem Einschlafen las ich mal Gib jedem seinen eigenen Tod , einen von Veit Heinichenswunderbaren Triest-Krimis, und landete auf Seite 65, wo beschrieben wird, wie Kommissar Laurenti die Redaktion der Zeitung Il Piccolo betritt. Es heißt: »Schreibecken mit Bildschirmen, abgetrennt durch dünne, halbhohe Stellwände, deren blauer Bezug sich mit dem Graugrün des Linoleumfußbodens biß …«
Schreib-Ecken waren gemeint, ich jedoch las »Schrei-Becken« und stellte mir vor, wie sehr man so etwas in einer Zeitungsredaktion doch eigentlich benötigen würde: ein weiß gekacheltes Becken, in das sich der entnervte Redakteur nach getaner Arbeit legen könnte, um seine Verzweiflung über den Zustand der Welt und seiner Vorgesetzten herauszuschreien. Worauf des Redakteurs Urgebrüll gurgelnd in den Abfluss liefe, und der Mann mit den Worten »Putzmeier, reinigen Sie mein Schrei-Becken!« sich frei von aller Wut sanften Mutes nach Hause zu Frau und Kind gebäbe, äh, begäbe.
SCHRÖDYPHOS
Da liegt nun dieses Buch. Gerhard Schröder: Entscheidungen. Mein Leben in der Politik. Man schlägt es auf, da steht der erste Satz: »Erinnerungen aufschreiben, die Schwebeteilchen im Kopf zueinanderbringen und
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