WoW 02 - Der letzte Wächter
Abenddämmerung leer und gewaltig. Kein Licht war in den Fenstern zu sehen, und auch das Observatorium in der Spitze des Turms war dunkel. Unter einem mondlosen Himmel wirkten selbst die hellen Steine des Turms schwarz und abweisend.
Am Abend zuvor war es in den Privatgemächern des Königs zu einer hitzigen Diskussion gekommen. Khadgar und Garona waren beteiligt, obwohl die Halb-Orc in Gegenwart Seiner Majestät Lothar ihr Messer abgeben musste. Der Champion des Königs war ebenfalls anwesend und außerdem eine Gruppe von Beratern und Höflingen, die sich um König Liane scharte. Khadgar witterte keinen einzigen Zauberer in der Versammlung und schloss daraus, dass diejenigen, die Medivhs Wüten überlebt hatten, entweder auf dem Schlachtfeld kämpften oder in Sicherheit gebracht worden waren.
Der König war nicht mehr der junge Mann, den er in seinen Visionen gesehen hatte. Er war erwachsen geworden. Seine breiten Schultern und scharf geschnittenen Gesichtszüge beugten sich nur langsam den Veränderungen, die das mittlere Lebensalter mit sich brachte. Von allen Anwesenden war er am festlichsten gekleidet und seine blauen Gewänder ließen ihn aus der Gruppe herausragen. Neben seinem Stuhl lag ein großer Helm mit weißen Flügeln, als erwarte er, jeden Moment auf das Schlachtfeld gerufen zu werden.
Khadgar fragte sich, ob Liane nicht genau diesen Ruf herbeisehnte. Das hätte zu dem starrsinnigen Jugendlichen aus der Troll-Vision gepasst. Ein direkter Kampf auf offenem Feld, wo der Sieg seiner Truppen niemals wirklich in Zweifel stand.
Er fragte sich, wie viel von dieser Sicherheit aus der Überzeugung kam, dass der Magus schon beizeiten eingreifen würde. Tatsächlich schienen beide Dinge zusammenzugehören: Der Magus würde Stormwind immer unterstützen, und Stormwind würde aufgrund der Unterstützung des Magus niemals fallen.
Die Heiler hatten sich um Garonas aufgerissene Lippe gekümmert, aber ihre Laune konnten sie nicht verbessern. Khadgar zuckte einige Male zusammen, wenn sie undiplomatisch ihre Orc-Meinung, den Geisteszustand des Meistermagiers betreffend, darlegte, über die Bleichgesichter im Allgemeinen und Lianes Truppen im Besonderen lamentierte.
»Die Orcs sind unerschütterlich«, sagte sie. »Sie werden nicht aufgeben. Sie werden zurückkommen.«
»Sie sind nicht auf Pfeilentfernung an die Mauern herangekommen«, konterte Liane. Khadgar hatte den Eindruck, dass Seine Majestät eher amüsiert als besorgt über Garonas undiplomatische Warnungen und ihr direktes Auftreten war.
»Sie sind nicht auf Pfeilentfernung an die Mauern herangekommen«, wiederholte Garona. »Dieses Mal. Nächstes Mal werden sie es tun. Und das übernächste Mal werden sie über die Mauern kommen. Ich glaube nicht, dass Ihr die Orcs ernst genug nehmt,
Sire
.«
»Du kannst sicher sein, ich nehme sie sehr ernst«, versetzte Liane. »Aber ich bin mir auch der Stärke von Stormwind bewusst. Seiner Mauern, seiner Armeen, seiner Verbündeten und seiner Entschlossenheit. Wenn du dies sehen könntest, würde dich die Macht der Orcs vielleicht auch nicht mehr so beeindrucken.«
Liane war sich ebenso sicher, was den Magus anging. Khadgar legte alles vor den Ratgebern dar und wurde dabei von Garona unterstützt. Die Visionen aus der Vergangenheit, das ungewöhnliche Verhalten, die Visionen, die keine waren, sondern Hinweise auf Sargeras' Anwesenheit in Karazhan … Und er sprach über Medivhs Rolle beim Angriff auf Azeroth.
»Wenn ich eine Silbermünze für jeden Mann bekommen hätte, der behauptete, Medivh sei wahnsinnig, wäre ich noch reicher als ich es ohnehin schon bin«, sagte Liane. »Er hat einen Plan, junger Mann. So einfach ist das. Er hat sich schon oft in irgendein irrsinniges Unterfangen gestürzt, und Lothar hat sich jedes Mal die allergrößten Sorgen gemacht. Doch stets hatte er am Ende Recht. Das letzte Mal, als er hier war, hat er sich doch auf die Jagd nach diesem Dämon gemacht und ihn nach ein paar Stunden zurückgebracht. Würde jemand, der von einem Dämon besessen ist, einen seiner eigenen Leute köpfen?«
»Wenn er damit seine Unschuld vortäuschen könnte, warum nicht?«, antwortete Garona. »Niemand hat gesehen, wie er den Dämon mitten in der Stadt tötete. Vielleicht hat er ihn beschworen, getötet und dann als Sündenbock präsentiert.«
»Haltlose Spekulation«, knurrte der König. »Ich glaube euch, dass ihr all das gesehen habt. Auch diese Visionen aus der Vergangenheit. Aber ich denke, dass der
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