WoW 07 - KdA 2 - Die Dämonenseele
durfte ihn niemand mit seinem vollständigen Namen anreden. Alle anderen, sogar Lord Ravencrest, riefen ihn einfach nur Brox. Der breit gebaute Orc war einen Kopf kleiner als sie, aber dreimal so breit. Fast sein gesamter Körper schien aus Muskeln zu bestehen. Im Kampf warf er sich den Feinden mit der gleichen Wildheit wie die großen Nachtsäbler entgegen, aber in Tyrandes Gegenwart zeigte er mehr Respekt als manch anderer, der um ihren Segen bat.
Sie dachte, der Orc wünsche ihren Segen, also legte sie ihre Hand auf seine Brust. Er sah sie überrascht an, hieß ihre Berührung dann jedoch willkommen.
»Möge Mutter Mond deinen Geist führen, möge sie dir Stärke geben…« Sie fuhr einige Sekunden lang fort und gab dem Orc ihren vollständigen Segen. Die meisten Priesterinnen und auch die gewöhnlichen Nachtelfen fanden ihn abstoßend, aber für Tyrande war er ebenso ein Kind von Mutter Mond wie sie selbst.
Als sie geendet hatte, neigte Brox dankbar seinen Kopf. Dann murmelte er: »Ich bin diesen Segen nicht wert, Schamanin, denn er ist nicht der Grund, aus dem ich gekommen bin.«
»Nicht?«
Das breite Gesicht verzog sich zu etwas, das Tyrande als Reue deutete. »Schamanin, es gibt etwas, das mein Herz belastet. Etwas, das ich gestehen muss.«
»Sprich weiter.«
»Schamanin, ich habe nach dem Tod gesucht.«
Sie spitzte die Lippen, während sie versuchte, die Bedeutung seiner Worte zu verstehen. »Willst du mir sagen, dass du dich umbringen wolltest?«
Brox richtete sich zu seiner ganzen Größe auf. Sein Gesicht verdunkelte sich. »Ich bin ein Orc-Krieger! Ich habe meinen Dolch nicht gegen die eigene Brust gerichtet!«
Seine Wut verflog so schnell, wie sie gekommen war. Scham trat an ihre Stelle. »Aber ich habe versucht, die Waffen anderer dorthin zu locken.«
Damit war der Damm gebrochen, und die Geschichte floss förmlich aus ihm heraus. Brox erzählte ihr von seinem letzten Krieg gegen die Dämonen, wie er und seine Kameraden die Stellung gehalten und auf Verstärkung gewartet hatten. Tyrande erfuhr, dass ein Orc nach dem anderen getötet worden war, bis nur der Veteran übrig blieb. Der Heldenmut von Brox und den anderen hatte dafür gesorgt, dass die Orcs die Schlacht gewannen, aber trotzdem fühlte er sich schuldig, weil alle außer ihm gefallen waren.
Der Krieg hatte kurz darauf geendet und Brox damit des einzigen Mittels beraubt, mit dem er das, was er als Verfehlung sah, wieder hätte gutmachen können. Als der Kriegshäuptling Thrall ihn bat, die Anomalie zu untersuchen, hatte Brox es als ein Zeichen der Geister gewertet und auf ein Ende seines Leids gehofft.
Doch der Einzige, der bei dieser Mission ums Leben kam, war sein junger Begleiter, was zusätzlich auf Brox lastete. Dann, als deutlich wurde, dass die Brennende Legion in Kalimdor einfallen würde, hatte er ein weiteres Mal seine Chance auf ein Ende gesehen. Er hatte sich in den Kampf geworfen und so hart gekämpft wie nie zuvor. Er hatte sich nur an der Front aufgehalten und jeden Feind herausgefordert. Doch leider hatte er zu gut gekämpft, denn während seine Feinde gleich dutzendweise fielen, trug er kaum einen Kratzer davon.
Als die Streitmacht in Suramar aufbrach, war der ältere Orc schließlich auf die Idee gekommen, dass er eine ganz andere Sünde begangen hatte. Er begriff, dass es falsch gewesen war, sich seines Überlebens zu schämen. Jetzt fühlte er neue Scham, denn alle um ihn herum kämpften ums Überleben, während er bereit war, sein Leben wegzuwerfen. Ihre Gründe für den Kampf gegen die Brennende Legion waren nicht die seinen.
»Es stört mich nicht, in der Schlacht zu sterben. Das ist ein ruhmreiches Schicksal für einen Orc, Schamanin. Aber es entehrt mich, dass ich den Tod herbeisehne und damit diejenigen gefährde, die gegen das Böse kämpfen, um zu überleben.«
Tyrande sah dem Orc in die Augen. Die anderen hielten ihn für ein Monster, doch er hatte erneut bewiesen, dass seine Gedanken komplex und bedeutungsvoll waren. Sie berührte seine raue Wange und lächelte leicht. Wie arrogant war ihr Volk, dass es sich weigerte, am Aussehen vorbei in die Seele und den Geist zu schauen.
»Du musst mir kein Geständnis machen, Broxigar. Du hast es deinem Herzen und deiner Seele längst gestanden. Das bedeutet, dass Elune und die Geister deine Reue gespürt haben. Sie wissen, dass du die Wahrheit erkannt hast und deine früheren Gedanken bedauerst.«
Er grunzte und küsste ihre Handfläche, was sie überraschte.
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