Wozu wollen Sie das wissen?
dich nicht die richtige Schiene.«
Ich hatte sie das Wort
Schiene
noch nie so benutzen hören – als versuchte sie, so zu reden, wie eine jüngere Frau es tun würde. Wie ich ihrer Meinung nach reden würde, wenn auch nicht zu ihr.
Wir hörten im Flur die schweren Schnürschuhe meiner Großmutter.
Ich schüttelte den Kopf und steckte das Geld unter ein Stück Samt, das auf der Nähmaschine lag. Es sah für mich nicht einmal echt aus – ich war den Anblick von Fünfzig-Dollar-Scheinen nicht gewohnt.
Ich konnte keinen Menschen in mich hineinschauen lassen, schon gar nicht ein schlichtes Gemüt wie Tante Charlie.
Der Schmerz und die Klarheit im Zimmer und in meinen Schläfen ließen nach. Der Augenblick der Gefahr ging vorüber wie Schluckauf.
»Nun, ja«, sagte Tante Charlie mit aufmunternder Stimme und griff hastig nach dem Ärmel. »Vielleicht sehen sie so, wie sie waren, doch besser aus.«
Das war für die Ohren meiner Großmutter. Für meine kam ein heiseres Flüstern.
»Dann musst du – versprich es mir –
dann musst du eine gute Ehefrau sein
.«
»Ja, sicher«, sagte ich, als gäbe es keinen Grund zu flüstern. Und meine Großmutter, die gerade ins Zimmer kam, legte die Hand auf meinen Arm.
»Hol sie aus dem Kleid raus, bevor sie es ruiniert«, sagte sie. »Sie schwitzt ja am ganzen Leib.«
Daheim
Ich fahre nach Hause, wie ich es im letzten Jahr mehrere Male getan habe, in drei verschiedenen Bussen. Der erste Bus ist groß, klimatisiert, schnell und bequem. Die Leute darin achten wenig auf die anderen Fahrgäste. Sie schauen hinaus zum Verkehr auf der Straße, den der Bus souverän meistert. Wir fahren aus der Großstadt erst nach Westen, dann nach Norden, und nach ungefähr fünfzig Meilen erreichen wir ein größeres, prosperierendes Markt- und Industriestädtchen. Hier steige ich mit den Fahrgästen, die in meiner Richtung unterwegs sind, in einen kleineren Bus um. Er ist schon ziemlich voll mit Leuten, deren Heimreise in dieser Stadt beginnt – Farmer, die zu alt sind, um noch selber zu fahren, und Farmersfrauen aller Altersklassen; Schwesternschülerinnen und Studenten der Landwirtschaftshochschule, die übers Wochenende nach Hause fahren; Kinder, die zwischen Eltern und Großeltern hin- und hergereicht werden. Dies ist ein Siedlungsgebiet vieler deutscher und holländischer Auswanderer, und einige der älteren Leute unterhalten sich in der einen oder anderen dieser Sprachen. Auf dieser Strecke der Fahrt kann es sein, dass der Bus hält, um ein Paket oder ein Päckchen an jemanden auszuliefern, der an einem Farmtor wartet.
Die Dreißig-Meilen-Fahrt zu der Stadt, in der ich zum letzten Mal umsteigen muss, dauert ebenso lange wie der erste Fünfzig-Meilen-Abschnitt aus der Großstadt, wenn nicht länger. Als wir diese Stadt erreichen, sind die großen, gutgelaunten Nachfahren der Deutschen oder der später angekommenen Holländer alle ausgestiegen, der Abend ist dunkler und kühler geworden, die Farmen ebener und armseliger. Mit ein, zwei Überlebenden aus dem ersten Bus und zwei, drei aus dem zweiten gehe ich über die Straße – hier lächeln wir uns zu und tragen damit einer Kameradschaft oder sogar einer Gleichheit Rechnung, die für uns an den Orten, wo wir aufbrachen, nicht erkennbar war. Wir steigen in den kleinen Bus, der vor einer Tankstelle wartet. Kein Busbahnhof mehr.
Dies ist ein alter Schulbus, mit sehr unbequemen Sitzen, die sich in keiner Weise verstellen lassen, und Fenstern mit quer verlaufender Metallschiene in der Mitte. Dadurch ist man gezwungen, sich entweder zusammenzukauern oder sehr aufrecht zu sitzen und sich den Hals auszurenken, um einen unversperrten Blick zu haben. Ich finde das ärgerlich, denn ich möchte unbedingt diese Landschaft hier sehen – die sich rot verfärbenden Herbstwälder und die trockenen Stoppelfelder und die Kühe, die sich vor den Ställen drängen. Solche unspektakulären Szenen in diesem Teil des Landes sind genau das, so habe ich immer gedacht, was ich gern als Letztes im Leben sehen würde.
Und mir geht durch den Kopf, dass es durchaus so kommen könnte, und zwar früher als erwartet, denn der Bus wird ruckend und schaukelnd in waghalsigem Tempo über die restlichen zwanzig Meilen schlecht gepflasterter Straße gejagt.
Diese Gegend eignet sich hervorragend für Unfälle. Jungen, die noch keinen Führerschein haben, bringen sich um ihre Gesundheit, indem sie mit neunzig Meilen in der Stunde auf Schotterstraßen
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