Wozu wollen Sie das wissen?
gefiederten Räuber, waren nicht in Erscheinung getreten, existierten vielleicht gar nicht, und ich konnte mir ohnehin nicht einbilden, zu ihnen zu passen.
Michael verdiente Besseres als mich. Doch. Er verdiente ein ganzes Herz.
An jenem Nachmittag ging ich wie üblich in die Stadt. Die Schrankkoffer waren nahezu voll. Meine Großmutter, wieder von ihrer Venenentzündung befreit, beendete gerade die Stickerei auf einem Kopfkissenbezug, einem von einem Paar, das sie meiner Sammlung hinzufügen wollte. Tante Charlie widmete sich jetzt meinem Hochzeitskleid. Sie hatte die Nähmaschine in der vorderen Hälfte des Wohnzimmers aufgestellt, die von der hinteren Hälfte, in der die Koffer standen, durch eichene Schiebetüren abgetrennt war. Das Schneidern war ihre Domäne – da konnte meine Großmutter es ihr nicht gleichtun und ihr auch nicht hineinreden.
Ich sollte in einem knielangen Kleid aus burgunderrotem Samt heiraten, mit angekraustem Rock, enger Taille, herzförmigem Ausschnitt und Puffärmeln. Heute ist mir klar, dass es selbst geschneidert aussah – nicht wegen irgendwelcher Mängel in Tante Charlies Näherei, sondern einfach wegen des Schnitts, der auf seine Weise ganz schmeichelhaft war, aber etwas Schlichtes an sich hatte, eine sanfte Ergebenheit, einen Mangel an Selbstbehauptung. Ich war so an selbst geschneiderte Sachen gewöhnt, dass ich es überhaupt nicht bemerkte.
Nachdem ich das Kleid anprobiert hatte und wieder meine Alltagssachen anzog, rief meine Großmutter uns zum Kaffee in die Küche. Wenn sie mit Tante Charlie allein gewesen wäre, hätten die beiden Tee getrunken, aber mir zuliebe waren sie dazu übergegangen, Nescafé zu kaufen. Tante Charlie hatte damit angefangen, als meine Großmutter im Bett lag.
Tante Charlie sagte zu mir, sie käme gleich – sie wolle nur noch Heftfäden herausziehen.
Während ich mit meiner Großmutter allein war, fragte ich sie, wie sie sich vor ihrer Hochzeit gefühlt hatte.
»Der ist zu stark«, sagte sie, auf den Nescafé bezogen, und erhob sich mit dem pflichtschuldigen leisen Ächzen, das inzwischen jede plötzliche Bewegung begleitete. Sie setzte den Kessel für weiteres heißes Wasser auf. Ich dachte, sie werde mir nicht antworten, doch sie sagte: »Ich kann mich nicht erinnern, mich überhaupt irgendwie gefühlt zu haben. Ich erinnere mich, dass ich nichts gegessen habe, weil ich meine Taille dünner kriegen musste, um in das Kleid zu passen. Also nehme ich an, ich habe mich hungrig gefühlt.«
»Hattest du nie Angst davor …« Ich wollte sagen,
dein Leben mit diesem einen Menschen zu teilen
. Aber bevor ich es aussprechen konnte, antwortete sie energisch: »Diese Geschichte ergibt sich mit der Zeit von ganz allein, keine Sorge.«
Sie dachte, ich redete vom Sex, das einzige Gebiet, wo ich meinte, keine Unterweisung oder Bestärkung zu brauchen.
Und ihr Ton gab mir zu verstehen, dass es vielleicht ein wenig geschmacklos von mir war, dieses Thema zur Sprache gebracht zu haben, und sie nicht die Absicht hatte, ausführlicher darauf einzugehen.
Tante Charlie kam dazu, was weitere Auskünfte ohnehin unwahrscheinlich machte.
»Ich bin immer noch nicht zufrieden mit den Ärmeln«, sagte Tante Charlie. »Ich überlege, ob ich sie nicht doch einen halben Zentimeter kürzer mache.«
Nachdem sie ihren Kaffee ausgetrunken hatte, ging sie wieder weg und tat es, heftete nur einen Ärmel, um zu prüfen, wie er aussah. Sie rief mich, damit ich kam und das Kleid noch einmal anprobierte, und als ich es angezogen hatte, überraschte sie mich, denn sie betrachtete nicht den Ärmel, sondern sah mir gespannt ins Gesicht. Sie hatte etwas in der Faust, das sie mir geben wollte. Ich streckte die Hand aus, und sie flüsterte: »Da.«
Vier Fünfzig-Dollar-Scheine.
»Falls du dir’s anders überlegst«, sagte sie, immer noch in zittrigem, dringendem Flüsterton. »Wenn du doch nicht heiraten willst, wirst du ein bisschen Geld brauchen, um dich auf den Weg zu machen.«
Bei ihrem
anders überlegst
dachte ich noch, sie wollte mich necken, aber als dann
ein bisschen Geld brauchen
kam, wusste ich, dass sie es ernst meinte. Ich stand starr in meinem Samtkleid da, meine Schläfen schmerzten, als hätte ich den Mund voll mit etwas viel zu Kaltem oder viel zu Süßem.
Tante Charlies Augen waren blass vor Angst geworden, weil sie das eben gesagt hatte. Und weil sie noch etwas sagen musste, mit noch mehr Nachdruck, obwohl ihre Lippen zitterten.
»Womöglich ist das für
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