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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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in einem Winkel, vor dem Matrosen die zerrissenen Segel ausbessern. Von Zeit zu Zeit reden sie unter sich – vielleicht auf Englisch, aber nicht so, dass Walter ihnen folgen kann, und dann scheinen sie sich wieder anzuhören, was der alte James zu erzählen hat. Die Geräusche, von denen die gesamte Erzählung begleitet wird, verraten Walter, dass es sich bei den unsichtbaren Zuhörern zumeist um Frauen handelt.
    Aber da ist ein großer, vornehm gekleideter Mann – bestimmt ein Kajütenpassagier, der in Walters Blickfeld stehen geblieben ist, um zuzuhören. Er hat jemanden zur Seite, der Walter abgewandten, und mitten in der Geschichte lugt diese Person hinter ihm hervor und schaut Walter an, und er merkt, es ist Nettie. Im ersten Moment scheint sie sich zu freuen, ihn zu sehen, doch dann legt sie den Finger an den Mund, als wolle sie sich selbst – und Walter – ermahnen, nichts davon merken zu lassen.
    Der Mann muss ihr Vater sein. Beide stehen still und hören zu, bis die Geschichte zu Ende ist.
    Dann dreht sich der Mann um und wendet sich direkt an Walter, redet ihn auf vertrauliche, jedoch höfliche Weise an.
    »Was mag wohl aus den Schafen des guten Mannes geworden sein? Ich hoffe nur, die Elfen haben sie ihm nicht abspenstig gemacht.«
    Walter ist beklommen und weiß nicht, was er sagen soll. Doch Nettie schaut ihn beruhigend mit leisem Lächeln an, senkt dann den Blick und wartet neben ihrem Vater, wie es sich für eine sittsame junge Dame geziemt.
    »Schreiben Sie Ihre Eindrücke nieder?«, fragt der Mann und deutet mit einem Kopfnicken auf Walters Buch.
    »Ich schreibe ein Tagebuch der Schiffsreise«, sagt Walter steif.
    »Das ist ja interessant. Das ist eine interessante Tatsache, denn auch ich führe über diese Reise Tagebuch. Ich wüsste gern, ob wir dieselben Dinge für erwähnenswert halten.«
    »Ich schreibe nur auf, was geschieht«, sagt Walter, weil er deutlich machen möchte, dass dies für ihn eine Pflicht und kein eitles Vergnügen ist. Trotzdem hat er das Gefühl, dass es weiterer Rechtfertigung bedarf. »Ich schreibe, um jeden Tag festzuhalten, damit ich am Ende der Reise einen Brief nach Hause schicken kann.«
    Die Stimme des Mannes ist sanfter und sein Benehmen liebenswürdiger als jede Anrede, die Walter sonst gewohnt ist. Er überlegt, ob mit ihm Scherz getrieben wird. Oder ob Netties Vater so jemand ist, der mit Leuten Bekanntschaft schließt in der Hoffnung, an ihr Geld heranzukommen, um es in eine wertlose Anlage zu stecken.
    Nicht, dass Walters Aussehen oder Kleidung ihn als lohnendes Opfer ausweisen.
    »Also beschreiben Sie nicht, was Sie sehen? Nur das, was – wie Sie sagen –
geschieht

    Walter will erst nein sagen und dann ja. Denn er hat gerade gedacht, wenn er festhält, dass ein rauher Wind geht, ist das nicht eine Beschreibung? Man weiß nicht, woran man bei so einem Menschen ist.
    »Sie schreiben nicht über das, was wir gerade gehört haben?«
    »Nein.«
    »Das könnte aber lohnenswert sein. Es gibt jetzt Männer, die herumgehen und jeden Winkel von Schottland durchforschen und alles aufschreiben, was die alten Leute vom Lande zu sagen haben. Sie meinen, dass die alten Lieder und Geschichten verschwinden und dass sie es wert sind, aufgezeichnet zu werden. Ich weiß nichts darüber, ich kenne mich darin nicht aus. Aber es würde mich nicht wundern, wenn diejenigen, die all das aufgeschrieben haben, feststellen werden, dass es die Mühe gelohnt hat – ich will damit sagen, es kann Geldes wert sein.«
    Nettie ergreift unerwartet das Wort.
    »Sei schon still, Vater. Der Alte will wieder anfangen.«
    Keiner Tochter in Walters Welt würde es einfallen, so mit ihrem Vater zu sprechen, aber der Mann schmunzelt nur und schaut liebevoll zu ihr hinunter.
    »Nur noch eines will ich fragen«, sagt er. »Was halten Sie von dieser Begebenheit mit den Elfen?«
    »Ich halte das alles für Unsinn«, sagt Walter.
    »Er
hat
wieder angefangen«, sagt Nettie verärgert.
    Und wirklich hat der alte James eben wieder die Stimme erhoben, unterbricht vorwurfsvoll und mit Entschiedenheit jene unter seinen Zuhörern, die meinten, es sei an der Zeit für ihre eigenen Gespräche.
    »… und noch ein ander Mal, aber an den langen Tagen im Sommer, draußen auf den Bergen spät am Tage, aber noch, bevor es stockfinster war …«
    Der große Mann nickt, aber mit einem Gesichtsausdruck, als habe er noch Fragen an Walter. Nettie streckt den Arm hoch und legt ihm die Hand auf den Mund.
    »Und

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