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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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hier versteckt?«, fragte sie, und Susie demütigte sie – wie sie es hin und wieder tat, aus überlegenem Wissen heraus – mit den Worten, der sei alles andere als ein Neugeborenes, weil nämlich viel zu groß. Außerdem sei er richtig angezogen, was er nicht wäre, wenn jemand ihn einfach loswerden wollte.
    »Mag schon sein«, sagte Meggie. »Aber was fangen wir jetzt mit ihm an?«
    Meinte sie, was ist jetzt die richtige Vorgehensweise? In dem Fall hätte die Antwort gelautet, ihn in eins ihrer Elternhäuser zu bringen. Oder ins Gasthaus, das näher lag.
    Doch sie meinte es ein wenig anders.
    Sie meinte, wie können wir ihn einsetzen? Wie können wir unseren Spaß haben oder jemandem einen Streich spielen?
     
    Seine Pläne waren nie weit gediehen. Er verstand, als sie von zu Hause fortgingen, dass sein Vater – der nicht unter jenem Stein war, sondern in der Luft oder unsichtbar die Straße entlangging und seine Ansichten ebenso deutlich kundtat, als hätten sie miteinander geredet – dass sein Vater gegen ihren Aufbruch war. Seine Mutter müsste das auch wissen, war aber bereit, sich dem Neuankömmling zu fügen, der aussah wie sein Vater und sich sogar so anhörte, aber ein Schwindler war. Vielleicht stimmte es ja, dass er der Bruder seines Vaters war, trotzdem war er ein Schwindler.
    Sogar als sie anfing zu packen, hatte er geglaubt, irgendetwas werde sie aufhalten – erst als
Onkel Andrew
eintraf, sah er ein, dass kein Missgeschick etwas daran ändern würde und dass er gefordert war.
    Dann, als es ihn ermüdete, ihnen immer weiter vorauszulaufen, und er sich in den Wald stahl, stellte er sich vor, er sei ein Indianer, wie er es schon oft getan hatte. Ein Einfall, den ihm die Pfade oder die Andeutungen von Pfaden eingaben, die neben der Straße verliefen oder davon fortführten. Bemüht, voranzugleiten, ohne gehört oder gesehen zu werden, stellte er sich Indianer-Kameraden vor, so lebhaft, dass er sie beinahe zu sehen meinte, und er dachte an Becky Johnson, der zuzutrauen war, dass sie ihnen folgte und auf eine Gelegenheit wartete, um das Wickelkind zu stehlen, das sie unmäßig liebte. Er hatte sich im Wald gehalten, bis die anderen vor dem Gasthaus hielten, und er hatte diesen Schuppen gesehen und ihn untersucht, bevor er unter den Apfelbäumen zum Haus ging. Dieselben Apfelbäume hatten ihm Schutz geboten, als er sich zur Seitentür hinausstahl, in den Armen das schlafende Wickelkind, so leicht, so schwach atmend, dass es ihm kaum wie ein richtiger Mensch vorkam. Seine Augen standen im Schlaf einen Spalt weit offen. Im Schuppen hingen noch ein paar Wandbretter, die nicht heruntergefallen waren, und er legte es auf das oberste, wo Wölfe oder Luchse, falls es welche gab, nicht herankamen.
    Er kam zu spät zum Abendessen, aber niemand dachte sich etwas dabei. Er hatte sich vorgenommen, zu sagen, er sei auf der Toilette gewesen, aber er wurde nicht gefragt. Alles ging so glatt, als geschehe es immer noch in seiner Phantasie.
    Nach der Aufregung, als die Kleine vermisst wurde, hatte er nicht zu rasch verschwinden wollen, also war es fast dunkel, als er zwischen den Bäumen hindurchlief, um im Schuppen nach ihr zu schauen. Er hoffte, sie werde nicht schon Hunger haben, aber wenn, dann konnte er auf seinen Finger spucken und sie daran saugen lassen, und vielleicht würde sie den Unterschied zwischen Spucke und Milch nicht merken.
    Es war beschlossen worden umzukehren, genau wie er es vorausgesehen hatte, und er baute jetzt darauf, dass seine Mutter, sobald sie erst wieder zu Hause war, einsehen würde, dass ihre Versuche, fortzugehen, zum Scheitern verurteilt waren, und
Onkel Andrew
sagen würde, er solle sich wegscheren.
    Da er inzwischen fest daran glaubte, sein Vater habe ihm den ganzen Plan eingegeben, ging er davon aus, sein Vater musste vorausgesehen haben, dass sich alles genauso zutragen würde.
    Aber die Sache hatte einen Haken. Sein Vater hatte ihm nicht eingegeben, wie er das Wickelkind zurück nach Hause schaffen sollte, außer, es den ganzen Weg zu tragen, auf den Waldpfaden, die er heute teilweise benutzt hatte. Und was dann? Wenn sich herausstellte, dass Becky Johnson es gar nicht hatte, wenn sich herausstellte, dass Becky Johnson nie ihr Haus verlassen hatte?
    Ihm würde schon etwas einfallen. Musste ja. Sicher, er konnte das Wickelkind tragen, zumal ihm keine andere Wahl blieb. Und weit genug von den anderen weg bleiben, damit sie es nicht schreien hörten. Bis dahin hatte es bestimmt

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