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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Schlafzimmer und sagte, sie werde Waschwasser für Mary bringen. Die Jungen konnten sich hinten im Hof waschen, sagte sie, an der Zisterne. Da hingen auch Handtücher.
    »Geh«, sagte Mary zu Jamie. »Nimm Johnnie mit. Ich behalte Robbie und Tommy hier.«
    »Ich hab jemand gesehen, den du kennst«, sagte Jamie.
    Der Säugling war völlig durchnässt und musste auf dem Fußboden gewindelt werden, nicht auf dem Bett. Auf den Knien liegend sagte Mary: »Wen denn? Wen, den ich kenne?«
    »Becky Johnson.«
    »Wo?«, sagte Mary und schrak hoch. »Wo?
Becky Johnson
? Ist sie hier?«
    »Ich hab sie im Busch gesehen.«
    »Wo ging sie hin? Was hat sie gesagt?«
    »Ich war zu weit weg, um mit ihr zu reden. Sie hat mich nicht gesehen.«
    »War das nah von zu Hause?«, fragte Mary. »Denk nach. Nah von zu Hause oder weiter hier?«
    »Weiter hier«, sagte Jamie nach kurzer Überlegung. »Warum sagst du nah von zu Hause, wenn du gesagt hast, wir kehren nie dahin zurück?«
    Mary ließ sich nicht darauf ein. »Wo ging sie hin?«
    »Hierhin. Gleich danach ist sie wieder verschwunden.« Er schüttelte den Kopf wie ein alter Mann. »Sie ist ohne ein Geräusch gelaufen.«
    »So machen es die Indianer«, sagte Mary. »Du hast nicht versucht, ihr zu folgen?«
    »Sie ist geduckt zwischen den Bäumen aufgetaucht, und dann konnte ich sie nicht mehr sehen. Sonst wäre ich ihr gefolgt. Und hätte sie gefragt, was sie da macht.«
    »Tu so was ja nie«, sagte Mary. »Du kennst den Busch nicht so wie sie, du kannst dich verirren, das geht
soo
schnell.« Sie schnippte mit den Fingern, dann versorgte sie wieder den Säugling. »Ich nehme an, sie war in einer eigenen Sache unterwegs«, sagte sie. »Indianer haben ihre eigenen Sachen, von denen wir nichts wissen. Sie sagen uns nicht alles, was sie vorhaben. Nicht mal Becky. Warum sollte sie auch?«
    Die Frau vom Gasthaus kam mit einem großen Wasserkrug.
    »Was ist denn los?«, sagte sie zu Jamie. »Hast du Angst vor fremden Jungs da draußen? Das sind nur meine eigenen Jungs, die tun dir nichts.«
    Solch eine Unterstellung schickte Jamie holterdiepolter die Treppe hinunter, mit Johnnie im Gefolge. Dann rannten auch die beiden Kleinen hinaus.
    »Tommy! Robbie!«, rief Mary, aber die Frau sagte: »Ihr Mann ist auf dem Hof unten, er wird auf sie aufpassen.«
    Mary gab darauf keine Antwort. Es ging eine Fremde nichts an, dass sie keinen Mann hatte.
     
    Die Kleine schlief an ihrer Brust ein, und Mary legte sie aufs Bett, mit einem Keilkissen auf jeder Seite, damit sie nicht auf den Boden rollte. Sie ging hinunter zum Abendessen, mit einem schmerzenden Arm, der dankbar herunterhing, von seiner tagelangen Last befreit. Es gab Schweinefleisch zu essen, mit Kohl und gekochten Kartoffeln. Die Letzten vom vorigen Jahr waren das, und das Fleisch hatte eine dicke Fettschicht. Sie aß sich satt an Radieschen und Salat und frischgebackenem Brot, das gut schmeckte, und trank starken Tee. Die Kinder aßen an einem Tisch für sich und waren alle so lustig, dass sie ihr keinen Blick schenkten, nicht einmal Tommy. Sie war zum Umfallen müde und fragte sich, wie sie lange genug wach bleiben sollte, um sie zu Bett zu bringen.
    Außer der Frau vom Gasthaus, die das Essen auftrug, gab es nur noch eine andere Frau im Zimmer. Diese andere Frau hob kein einziges Mal den Kopf und schlang ihr Essen hinunter, als sei sie halb verhungert. Sie behielt ihre Haube auf und sah aus wie eine Ausländerin. Ihr ausländischer Mann sprach hin und wieder in kurzen Grunzlauten mit ihr. Andere Männer führten längere Gespräche, meistens in dem harten, rechtenden amerikanischen Tonfall, den Marys eigene Jungen nachzuahmen begannen. Diese Männer steckten voller Informationen und Widersprüche, dazu fuchtelten sie mit ihren Messern und Gabeln herum. Es gab sogar zwei oder drei Gespräche gleichzeitig – eines über die Unruhen in Mexiko und ein anderes über den Verlauf einer Eisenbahnlinie, das sich mit einem dritten über einen Goldgräberstreik vermischte. Einige Männer rauchten bei Tisch Zigarren, und wenn die Spucknäpfe nicht bei der Hand waren, drehten sie sich einfach um und spuckten auf den Fußboden. Der Mann neben Mary versuchte eine Unterhaltung in Gang zu bringen, die einer Dame angemessen war, und fragte sie, ob sie an der Zeltversammlung teilgenommen hatte. Anfangs verstand sie nicht, dass er von einer religiösen Erweckungsversammlung sprach, doch dann sagte sie, sie habe für so etwas nichts übrig, worauf er sie um

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