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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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kleine Kinder abhanden gekommen waren. Also hielt er sich nicht lange damit auf, sondern trug es zuversichtlich zurück ins Gasthaus. Es hatte ohnehin zu greinen aufgehört, als er es aufhob.
    Niemand rührte sich auf der Veranda, als er die Stufen hinaufstieg und dann weiter die Treppe hoch zu Marys Zimmer. Sie machte die Tür auf, bevor er anklopfen konnte, als hätte sie den schniefenden Atem des Kindes gehört, und er sprach sofort, leise, damit sie nicht aufschrie.
    »Ist das hier dein Kind?«
     
    Der Stalljunge fand den Zettel auf dem Fußboden, als er zurückkam. Inzwischen konnte er ihn lesen.
    EIN GESCHENK
von einer deiner
LIEBSTEN
.
    Aber er vermochte kein Geschenk zu entdecken, nicht mal ein scherzhaftes.
     
    Jamie hatte seinen Onkel auf die Veranda kommen und dann ins Gasthaus gehen hören. Jetzt hörte er ihn herauskommen, hörte seine entschiedenen und bedrohlichen Schritte den Weg in seine Richtung nehmen statt in die andere. Sein Herz pochte mit den Schritten. Dann wusste er, dass sein Onkel dastand und zu ihm heruntersah. Er bewegte den Kopf hin und her und schlug widerwillig die Augen auf, als wachte er auf.
    »Ich hab deine Schwester gerade zu deiner Mutter hochgebracht«, sagte sein Onkel sachlich. »Ich denke, das wird dich beruhigen.« Und er wandte sich ab, um zu seinem eigenen Schlafplatz zu gehen.
     
    Also gab es keine Notwendigkeit umzukehren, und sie setzten ihre Reise am Morgen fort. Andrew hielt es für besser, die Geschichte von der Indianerin nicht in Frage zu stellen, und vertrat den anderen gegenüber die Meinung, sie habe es mit der Angst bekommen und das Wickelkind im Bett des Stalljungen gelassen. Er glaubte nicht, dass der Stalljunge etwas damit zu tun hatte, sondern war überzeugt, dass James dahinter steckte, hakte aber nicht nach. Der Junge war verschlagen und aufsässig, doch sein Gesichtsausdruck in der Nacht ließ darauf schließen, dass er vielleicht etwas begriffen hatte.
    Mary war so froh gewesen, das Kind zurückzuhaben, dass sie nicht viele Fragen stellte. Gab sie immer noch Becky die Schuld? Oder ahnte sie mehr, als sie zugeben mochte, von den Machenschaften ihres ältesten Sohnes?
     
    Ochsen sind geduldige und zuverlässige Tiere, mit denen es nur ein Problem gibt, denn sobald sie ein Ziel vor Augen haben, ist es sehr schwer, sie davon abzubringen. Wenn sie einen Teich entdecken, der sie daran erinnert, wie durstig sie sind und wie angenehm Wasser ist, lässt man sie besser hin. Und so geschah es um die Mittagszeit, nachdem sie das Gasthaus verlassen hatten. Es war ein großer Teich dicht an der Straße, und die beiden älteren Jungen zogen sich aus, kletterten auf einen Baum mit einem überhängenden Ast und sprangen wieder und wieder ins Wasser. Die kleineren Jungen paddelten nah am Ufer, das Wickelkind schlief im Schatten im langen Gras, und Mary suchte nach Erdbeeren.
    Ein spitzschnäuziger Fuchs beobachtete sie eine Weile lang vom Waldrand. Andrew sah es, sagte aber nichts, denn er fand, es hatte auf dieser Reise schon genug Aufregung gegeben.
    Er wusste besser als die anderen, was noch vor ihnen lag. Straßen, die schlechter waren, und Gasthäuser, die primitiver waren als alles, was sie bisher gesehen hatten, ständig aufwirbelnder Staub und Tage, die immer heißer wurden. Die Erfrischung der ersten Regentropfen und dann das Elend des Dauerregens, mit den verschlammten Straßen und der durchnässten Kleidung.
    Er hatte inzwischen genug von den Yankees gesehen, um zu wissen, was Will gereizt hatte, unter ihnen zu leben. Ihre Tatkraft und ihre laute Rauhbauzigkeit, ihr Bedürfnis, die Nase immer vorn zu haben. Obwohl es einige gab, die waren recht anständig, und dann wieder andere, vielleicht sogar die Schlimmsten, das waren Schotten. Will hatte etwas in sich gehabt, das ihn zu solch einem Leben hinzog.
    Was sich als Fehler herausgestellt hatte.
    Andrew wusste natürlich, dass man ebenso gut in Kanada wie im Staate Illinois an Cholera sterben konnte und dass es dumm war, Will vorzuwerfen, er habe durch seine Wahl der Nationalität den Tod gefunden. Das tat er auch nicht. Und doch. Und doch – vielleicht war da etwas bei all diesem Nichts-wie-weg, dieser völligen Loslösung von der Familie und der Vergangenheit, dieser überstürzten Eigenständigkeit, das nicht weiterhalf, sondern eher gefährdete, ein solches Schicksal herbeiführte. Der arme Will.
     
    Und so wurde immer von ihm gesprochen, von den Brüdern, die ihn überlebten, bis auch sie starben,

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