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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Autos, das Rucken und Rattern, das Tuckern des Motors und Knarren des Getriebes die Bewältigung von Steigungen und die Zurücklegung von Meilen zu einer Anstrengung machten, die jeder in dem Fahrzeug körperlich zu teilen schien. Würde einem Reifen die Luft ausgehen, würde der Kühler überkochen, würde etwas den Geist aufgeben? Den Geist aufgeben – das hörte sich an, als sei das Auto zart und empfindlich, von geheimnisvoller, fast menschlicher Verletzlichkeit.
    Natürlich war das anders, wenn man ein neueres Auto hatte oder sich alle Reparaturen leisten konnte, sagte ich.
    Und dann kam ich darauf, warum wir nach Muskoka auf den kleineren Straßen gefahren waren. Ich hatte mich doch nicht geirrt. Mein Vater muss sich davor gehütet haben, das Auto durch größere Ortschaften oder über größere Straßen zu steuern. Zu viele Dinge daran waren nicht in Ordnung. Es hätte gar nicht fahren dürfen. Es gab Zeiten, da konnte er sich nicht leisten, es in die Werkstatt zu bringen, und das muss eine davon gewesen sein. Er bosselte daran herum, so gut er konnte, damit es lief. Manchmal half ihm ein Nachbar. Ich weiß noch, wie mein Vater sagte: »Der Mann ist ein technisches Genie«, was in mir den Verdacht weckt, dass er selbst keines war.
    Jetzt wusste ich, warum solch ein Gefühl von Risiko und Besorgnis verbunden war mit meinen Erinnerungen an die nicht asphaltierten, manchmal nicht einmal geschotterten Straßen – manche derart gefurcht, dass mein Vater sie Waschbrettstraßen nannte – und die einspurigen Bohlenbrücken. Als mir das wieder einfiel, erinnerte ich mich auch, dass mein Vater mir erzählte, sein Geld habe nur für die Fahrt zu dem Hotel gereicht, in dem meine Mutter war, und wenn sie keins gehabt hätte, dann hätte er nicht weiter gewusst. Das erzählte er mir natürlich nicht zu jener Zeit. Da kaufte er mir das Eis, er sagte mir, ich solle aufs Armaturenbrett drücken und schieben, wenn wir bergauf fuhren, und ich tat es, obwohl es inzwischen ein Ritual war, ein Witz, und mein Glaube daran längst verflogen. Ihm jedoch schien es Spaß zu machen.
    Er erzählte mir von den Begleitumständen dieser Fahrt erst Jahre später, nach dem Tod meiner Mutter, als er sich an manche Zeiten erinnerte, die sie zusammen durchgemacht hatten.
     
    Die Pelze, die meine Mutter an amerikanische Touristen verkaufte (wir sprachen immer von amerikanischen Touristen, als wären nur solche für uns von Nutzen), waren keine rohen Felle, sondern sie waren schon gegerbt und zugerichtet. Einige Häute waren zurechtgeschnitten und zu Capes zusammengenäht; andere wurden heil gelassen und zu dem verarbeitet, was wir Stolas nannten. Eine Fuchsstola war ein ganzes Fell, eine Nerzstola bestand aus zwei oder drei Fellen. Der Kopf des Tieres wurde drangelassen und erhielt glitzernde goldbraune Glasaugen, auch einen künstlichen Kiefer. An die Pfoten wurden Haken und Ösen genäht. Ich glaube, bei den Nerzstolas kamen sie an den Schwanz und die Schnauze. Die Fuchsstola wurde an den Pfoten befestigt, und dem Fuchscape war manchmal ein Fuchskopf an völlig falscher Stelle aufgenäht, mitten auf dem Rücken, als Schmuck.
    Dreißig Jahre später dürften diese Pelze den Weg in Secondhand-Läden gefunden haben und mögen als Jux gekauft und getragen worden sein. Unter all den vermoderten und grotesken Moden der Vergangenheit kommt einem dieses Tragen von Tierfellen, die ganz unverhohlen Tierfelle waren, als die befremdlichste und barbarischste vor.
    Meine Mutter verkaufte die Fuchsstolas für fünfundzwanzig, fünfunddreißig, vierzig oder fünfzig Dollar, je nach der Anzahl weißer Haare, dem »Silber«, im Fell. Capes kosteten fünfzig, fünfundsiebzig, vielleicht hundert Dollar. Mein Vater hatte Ende der dreißiger Jahre begonnen, neben den Füchsen auch Nerze zu züchten, aber sie bot nicht viele Nerzstolas zum Kauf an, und ich erinnere mich nicht, was sie dafür verlangte. Vielleicht war es uns gelungen, sie ohne Einbußen an die Kürschner in Montreal zu liefern.
     
    Die Kolonie aus Fuchskäfigen nahm ein Gutteil des Geländes unserer Farm ein. Sie erstreckte sich von der Scheune bis zur hohen Böschung der Flussniederung. Die ersten Käfige, die mein Vater baute, hatten ein Dach und Wände aus feinem Maschendraht zwischen einem Gerüst aus Zedernpfählen. Der Boden bestand einfach aus Erde. Die später gebauten Käfige hatten erhöhte Drahtböden. Alle Käfige lagen nebeneinander an sich kreuzenden »Straßen«, sodass sie eine

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