Wozu wollen Sie das wissen?
an, und sie sah keineswegs eine romantische Verbindung zur Wildnis; sie sah einen neuen Erwerbszweig, eine Möglichkeit, zu Reichtum zu gelangen. Sie hatte ein wenig Geld gespart, genug, um ein Grundstück zu kaufen, wo all das ernsthaft in Angriff genommen werden konnte. Sie wurde meine Mutter.
Wenn ich mir meine Eltern während jener Zeit vorstelle, bevor sie meine Eltern wurden, nachdem sie sich füreinander entschieden hatten, aber bevor ihre Heirat diese Entscheidung – in den damaligen Verhältnissen – unwiderruflich machte, so sehe ich sie vor mir, nicht nur rührend und hilflos, sich Großes vorgaukelnd, sondern auch liebenswerter als zu jeder späteren Zeit. Es ist, als seien ihnen die Flügel noch nicht gestutzt worden, als hielte das Leben noch alle Möglichkeiten bereit und als verfügten sie über eine Vielzahl von Kräften, bevor sich sich zueinander neigten. So kann es natürlich nicht gewesen sein – beide waren bestimmt schon verunsichert, meine Mutter, weil sie bereits Ende zwanzig und immer noch unverheiratet war. Beide hatten bestimmt schon Rückschläge erlitten, sie mögen sich einander mit Vorbehalten zugewandt haben und durchaus nicht mit dem überschwänglichen Optimismus, den ich mir einbilde. Aber ich bilde ihn mir ein, wie wir es alle gern tun, damit wir nicht denken müssen, wir seien aus einer Zuneigung entstanden, die immer nur halbherzig war, oder aus einem Unterfangen, das immer nur kleinmütig war. Ich glaube, als sie kamen und sich das Grundstück aussuchten, auf dem sie den Rest ihres Lebens zubringen sollten, am Maitland River gleich westlich von Wingham im Landkreis Turnberry in Huron County, da fuhren sie in einem Auto, das an einem strahlenden Frühlingstag auf trockenen Straßen voranschnurrte, da waren sie sympathisch und gutaussehend und gesund und vertrauten auf ihr Glück.
Vor noch gar nicht langer Zeit fuhr ich mit meinem Mann auf Landwegen durch Grey County, das nordöstlich von Huron County liegt. Wir kamen an einem leer stehenden Gemischtwarenladen an einer Straßenkreuzung vorbei. Er hatte altmodische Schaufenster mit hohen, schmalen Scheiben. Davor befand sich ein Sockel für Benzinpumpen, die nicht mehr da waren. Dicht daneben war ein Dickicht aus Sumachbäumen und wuchernden Ranken, in dem alle möglichen Abfälle gelandet waren. Die Sumachbäume erinnerten mich an etwas, und ich blickte mich zu dem Laden um. Es kam mir so vor, als sei ich schon einmal hier gewesen, und als sei der Ort mit einer Enttäuschung oder etwas Unangenehmem verbunden. Ich wusste, dass ich als Erwachsene nie hier langgefahren war, und ich konnte mir nicht denken, dass ich als Kind hierher gekommen war. Es war zu weit weg von Zuhause. Die meisten Fahrten aus der Stadt hinaus führten zum Haus meiner Großeltern in Blyth – dort verbrachten sie nach dem Verkauf der Farm ihren Lebensabend. Und in einem Sommer fuhren wir mal an den See bei Goderich. Aber noch während ich das zu meinem Mann sagte, erinnerte ich mich an die Enttäuschung. Eiscreme. Dann fiel mir alles wieder ein – die Fahrt nach Muskoka, die mein Vater 1941 mit mir unternommen hatte, als meine Mutter schon dort war und im Pine Tree Hotel nördlich von Gravenhurst Pelze verkaufte.
Mein Vater hatte vor einem Gemischtwarenladen gehalten, um zu tanken, und er hatte mir ein Eis spendiert. Es war ein abgelegener Ort, und die Eiscreme musste lange Zeit in der Truhe geruht haben. Wahrscheinlich war sie irgendwann halb aufgetaut und dann wieder gefroren. Jedenfalls steckten Eissplitter darin, reines Eis, und ihr Geschmack hatte sich scheußlich verändert. Sogar die Waffeltüte war pappig und altbacken.
»Aber warum sollte er hier entlang nach Muskoka gefahren sein?«, sagte mein Mann. »Wäre er nicht auf der Nummer 9 gefahren und dann auf dem Highway 11 ?«
Er hatte recht. Ich fragte mich, ob ich mich irrte. Ob es nicht ein anderer Laden an einer anderen Kreuzung gewesen war, wo wir tankten und die Eiscreme kauften.
Während wir weiter nach Westen fuhren, über die langgestreckten Hügel in Richtung Bruce County und Highway 21 , nach Sonnenuntergang und vor Einbruch der Dunkelheit, erzählte ich davon, wie jede längere Autofahrt – jede Autofahrt also, weiter als zehn Meilen – für meine Eltern gewesen war, wie angstbesetzt und ungewiss. Ich beschrieb meinem Mann – dessen Eltern, realistischer als meine, sich für zu arm gehalten hatten, um ein Auto zu besitzen, wie die Geräusche und Regungen des
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