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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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jetzt, wo durch den Krieg neue Arbeitsplätze entstanden und das Land wieder aufblühte, war es sehr schwer, so hart gearbeitet zu haben und fast nichts dafür zu erhalten.
    Er sagte zu meiner Mutter, dass er daran denke, zum Militär zu gehen. Seinen gesamten Bestand zu häuten und zu verkaufen und als Handwerker zum Militär zu gehen. Er war nicht zu alt dafür, und er besaß Fertigkeiten, die ihn brauchbar machten. Er konnte als Schreiner arbeiten – nach all dem, was er auf seinem Grundstück angefertigt hatte. Oder als Fleischer – nach all den alten Pferden, die er geschlachtet und für die Füchse zerlegt hatte.
    Meine Mutter hatte einen anderen Einfall. Sie schlug vor, die besten Felle zu behalten, sie nicht zu den Auktionen zu schicken, sondern sie gerben und herrichten zu lassen – das heißt, zu Stolas und Capes, versehen mit Augen und Klauen – und sie dann selbst zu verkaufen. Die Leute kamen jetzt wieder zu Geld. Es gab wieder Frauen, die hatten das Geld und die Neigung, sich gut zu kleiden. Und es gab Touristen. Wir lagen abseits der üblichen Touristenpfade, aber sie hatte gehört, dass die Ferienhotels in Muskoka davon wimmelten. Sie kamen aus Detroit und Chicago mit Geld, um sich feines Porzellan aus England, Shetland-Pullover und Hudson-Bay-Decken zu kaufen. Warum nicht auch Silberfuchspelze?
    Wenn es zu Veränderungen kommt, zu Anstürmen und Umbrüchen, dann gibt es zwei Sorten von Menschen. Wenn eine Straße durch ihren Vorgarten gebaut wird, dann sind die einen empört, sie beklagen den Verlust von Beschaulichkeit, von Pfingstrosen und Fliederbüschen und einem Teil ihrer selbst. Die anderen sehen darin Möglichkeiten – sie machen eine Würstchenbude auf, besorgen sich die Genehmigung für ein Schnellrestaurant, eröffnen ein Motel. Meine Mutter gehörte zur zweiten Kategorie. Schon allein der Gedanke an all die Touristen mit ihrem amerikanischen Geld, die in die nördlichen Wälder strömten, erfüllte sie mit Tatkraft.
    In jenem Sommer also, dem Sommer 1941 , brach sie mit einer Kiste voller Pelze nach Muskoka auf. Die Mutter meines Vaters kam, um den Haushalt zu führen. Sie war immer noch eine aufrechte und ansehnliche Frau, und sie betrat das Reich meiner Mutter mit den schlimmsten Vorahnungen. Sie hasste, was meine Mutter tat. Hausieren. Sie sagte, wenn sie an amerikanische Touristen denke, dann hoffe sie nur, dass ihr keiner von denen je nahekommen werde. Einen Tag lang war sie mit meiner Mutter zusammen im Haus, und in dieser Zeit zog meine Großmutter sich zurück in ein schroffes, unzugängliches Abbild ihrer selbst. Meine Mutter war zu aufgedreht, um es zu bemerken. Aber sobald meine Großmutter allein das Regiment führte, taute sie auf. Sie beschloss, meinem Vater seine Heirat zu verzeihen, wenigstens vorläufig, ebenso sein exotisches Unternehmen und dessen Misslingen, und mein Vater beschloss, ihr die demütigende Tatsache zu verzeihen, dass er ihr Geld schuldete. Sie buk Brote und Kuchen und machte etwas aus dem Gemüsegarten, den frisch gelegten Eiern und der fetten Milch der Jersey-Kuh. (Obwohl wir kein Geld hatten, waren wir nie schlecht ernährt.) Sie wusch die Schränke innen aus und scheuerte die schwarze Schicht am Boden der Kochtöpfe weg, die wir für dauerhaft gehalten hatten. Sie trieb vieles auf, das ausgebessert werden musste. Abends trug sie Eimer voll Wasser zu den Blumenrabatten und den Tomatenpflanzen. Dann kam mein Vater von seiner Arbeit in der Scheune und den Fuchskäfigen, und wir saßen alle auf Gartenstühlen unter den dichten Bäumen.
    Unsere Dreieinhalb-Hektar-Farm – nach den Maßstäben meiner Großmutter überhaupt keine – war ungewöhnlich gelegen. Nach Osten hin befand sich die Stadt, deren Rathausturm und Kirchtürme zu sehen waren, wenn die Bäume ihr Laub verloren hatten, und entlang des etwa eine Meile langen Weges von uns bis zur Hauptstraße standen die Häuser nach und nach dichter beieinander, verwandelten sich Schotterwege in Bürgersteige, schien eine einsame Straßenlaterne, sodass wir gewissermaßen am äußersten Rand der Stadt lagen, jedoch außerhalb ihrer Verwaltungsgrenzen. Aber nach Westen hin war nur ein einziges Farmhaus zu sehen, und das ziemlich weit fort, auf der Kuppe eines Hügels fast in der Mitte des westlichen Horizonts. Wir nannten es immer Roly Grains Haus, aber wer Roly Grain sein mochte oder welcher Weg zu seinem Haus führte, hatte ich nie gefragt und mir auch nie ausgemalt. Es war alles zu weit fort,

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