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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Holz der Wände. Zur einen Seite lag hinter Glastüren der Speisesaal. Er war nach dem Abendessen aufgeräumt worden, jeder Tisch weiß gedeckt. Zur anderen, hinter offenen Türen, ein langer, rustikaler Raum mit einem riesigen steinernen Kamin am Ende und einem Bärenfell davor auf dem Fußboden.
    »Schau dir das an«, sagte mein Vater. »Hier muss sie irgendwo sein.«
    Ihm war nämlich in einer Ecke der Empfangshalle ein hüfthoher Schaukasten aufgefallen, und hinter dessen Glas lag ein Silberfuchscape schön auf einem Stück Stoff drapiert, das aussah wie weißer Samt. Ein Schild auf dem Schaukasten verkündete:
Silberfuchs, der kanadische Luxus
, mit weißer und silbriger Farbe in fließender Schrift auf schwarzem Karton.
    »Irgendwo hier«, wiederholte mein Vater. Wir spähten in den Raum mit dem Kamin. Eine Frau, die an einem Schreibtisch saß und schrieb, sah auf und sagte mit angenehmer, aber irgendwie distanzierter Stimme: »Ich glaube, wenn Sie läuten, kommt jemand.«
    Es kam mir merkwürdig vor, von jemandem angeredet zu werden, den ich noch nie gesehen hatte.
    Wir zogen uns aus dem Kaminzimmer zurück und gingen zu den Türen des Speisesaals. Jenseits des Feldes weißer Tische mit den zurechtgelegten Bestecks, den umgedrehten Gläsern, den Blumensträußchen und den zu Wigwams gefalteten Servietten sahen wir zwei Damen an einem Tisch bei der Küchentür sitzen, am Ende eines späten Essens oder bei ihrem Abendbrot. Mein Vater drehte den Türknopf, und beide schauten auf. Eine von ihnen stand auf und kam zwischen den Tischen auf uns zu.
    Der Augenblick, in dem ich meine Mutter nicht erkannte, war nicht lang, aber es gab ihn. Ich sah eine Frau in einem Kleid, das ich nicht kannte, einem cremefarbenen Kleid mit einem Muster aus roten Blümchen. Der Rock war plissiert und schwang zischend, der Stoff gestärkt, strahlend wie die Tischdecken in dem dunkel getäfelten Saal. Die Frau, die ihn trug, sah flott und elegant aus, die dunklen Haare in der Mitte gescheitelt und zu einem ordentlichen Diadem aus Zöpfen aufgesteckt. Und sogar, als ich wusste, es war meine Mutter, als sie die Arme um mich legte und mich küsste, dabei einen ungewohnten Duft verströmte und nichts von ihrer sonstigen Hastigkeit mit ein bisschen schlechtem Gewissen zeigte, nichts von ihrer üblichen Unzufriedenheit mit meiner Erscheinung oder meinem Wesen, empfand ich sie immer noch als eine Fremde. Sie war mühelos, wie es schien, in die Welt des Hotels hinübergewechselt, wo mein Vater und ich aus dem Rahmen fielen wie Landstreicher oder Vogelscheuchen – es war, als hätte sie immer dort gelebt. Anfangs war ich verblüfft, dann fühlte ich mich verraten, dann fand ich es aufregend und Hoffnungen spendend, meine Gedanken eilten voraus zu Vorteilen, die sich aus dieser neuen Situation für mich ergaben.
    Die Frau, mit der meine Mutter geredet hatte, war, wie sich herausstellte, die Oberkellnerin des Speisesaals – eine sonnengebräunte, erschöpft aussehende Frau mit dunkelrotem Lippenstift und Nagellack, von vielen Sorgen geplagt, die sie meiner Mutter anvertraut hatte. Sie war sofort freundlich. Ich mischte mich in das Gespräch der Erwachsenen, um von den Eissplittern und dem schlechten Geschmack der Eiscreme zu erzählen, worauf sie in die Küche ging und mir eine große Portion Vanilleeis brachte, mit Schokoladensoße darüber und einer Kirsche obendrauf.
    »Ist das eine Eisbombe?«, fragte ich. Es sah wie die Eisbomben aus, die ich in der Reklame gesehen hatte, aber da es die erste meines Lebens war, wollte ich wegen des Namens sichergehen.
    »Ich glaube«, sagte sie. »Ja, eine Eisbombe.«
    Niemand ermahnte mich, meine Eltern lachten sogar, und dann brachte die Frau frischen Tee und ein Sandwich für meinen Vater.
    »Jetzt überlasse ich euch euren Plaudereien«, sagte sie, ging fort und ließ uns drei allein in diesem stillen und prächtigen Raum. Meine Eltern redeten miteinander, aber ich achtete kaum auf ihr Gespräch. Ich unterbrach sie von Zeit zu Zeit, um meiner Mutter etwas von der Fahrt zu erzählen oder von dem, was zu Hause passiert war. Ich zeigte ihr, wo eine Biene mich gestochen hatte, ins Bein. Keiner von beiden sagte mir, ich solle still sein – sie antworteten mir fröhlich und geduldig. Meine Mutter sagte, wir würden heute Nacht alle in ihrer Blockhütte schlafen. Sie hatte eine der kleinen Blockhütten hinter dem Hotel. Sie sagte, wir würden morgens hier frühstücken.
    Sie sagte, wenn ich aufgegessen

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