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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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er wegen ihres Fleisches geschlachtet hatte.
    Dann sagte er, nicht so leichthin: »Man gerät in etwas hinein, weißt du. Man macht sich gar nicht recht klar, in was man hineingerät.«
    In jenen späteren Jahren, nach dem Tod meiner Mutter, sprach er von ihrem Verkaufstalent und davon, wie sie die Familie gerettet hatte. Er gestand, dass er keine Ahnung gehabt hatte, was er am Ende jener Fahrt gemacht hätte, wenn sich herausgestellt hätte, dass sie kein Geld eingenommen hatte.
    »Doch sie hatte«, sagte er. »Und ob sie hatte.« Der Ton, in dem er das sagte, überzeugte mich davon, dass er jene Vorbehalte, die meine Großmutter und ich hegten, nie geteilt hatte. Oder dass er solche Scham, falls er sie je empfunden hatte, entschieden abgetan hatte.
    Eine Scham, deren Kreis sich geschlossen hat, da ich mich inzwischen ihrer schäme.
     
    An einem Frühlingsabend des Jahres 1949  – der letzte Frühling und zugleich die letzte Jahreszeit, die ich zu Hause verbringen sollte – fuhr ich auf meinem Fahrrad zur Gießerei, um meinem Vater eine Nachricht zu überbringen. Ich fuhr nur noch selten Fahrrad. Eine Zeit lang, vielleicht während der ganzen fünfziger Jahre, galt es als exzentrisch für ein Mädchen, Fahrrad zu fahren, nachdem es alt genug war, um einen Büstenhalter zu tragen. Aber um zur Gießerei zu gelangen, konnte ich Nebenstraßen benutzen, ich musste nicht durch die Stadt fahren.
    Mein Vater hatte 1947 angefangen, in der Gießerei zu arbeiten. Im Jahr davor war deutlich geworden, dass es nicht nur mit unserer Fuchsfarm, sondern mit der gesamten Pelztierzucht rapide bergab ging. Vielleicht hätten uns die Nerze über die Runden geholfen, wenn wir wesentlich mehr davon gezüchtet hätten oder wenn wir nicht immer noch so viele Schulden gehabt hätten, bei der Futtermittelfirma, bei meiner Großmutter, bei der Bank. Jedenfalls retteten uns die Nerze nicht. Mein Vater hatte den Fehler begangen, den viele Fuchszüchter genau zu der Zeit begingen. Es herrschte der Glaube, dass eine neue, hellere Fuchsart, genannt Platinfuchs, der rettende Ausweg war, und mit geliehenem Geld hatte mein Vater zwei männliche Zuchttiere gekauft, eins ein fast schneeweißer norwegischer Platinfuchs und das andere ein sogenannter Perlmuttplatinfuchs von herrlichem Blaugrau. Die Leute hatten die Silberfüchse satt, aber diese Schönheiten würden den Markt wieder beleben.
    Natürlich besteht bei einem Rüden immer das Risiko, ob er genug leisten wird und wie viele seiner Nachkommen die Farbe des Vaters haben werden. Ich glaube, es gab an beiden Fronten Probleme, obwohl meine Mutter keine Fragen oder Hausfrauengespräche zu diesen Dingen duldete. Ich glaube, einer der Rüden war von zurückhaltender Natur, und der andere zeugte hauptsächlich dunkle Würfe. Es machte nicht mehr viel aus, denn langhaarige Pelze kamen insgesamt aus der Mode.
    Als mein Vater sich nach Arbeit umsah, musste er etwas finden, wo er nachts arbeiten konnte, denn die Tage brauchte er dafür, alles aufzulösen. Er musste alle Tiere töten und die Pelze verkaufen, egal zu welchem Preis, und er musste den Schutzzaun niederreißen, die Alten und die Neuen Ställe und alle Aufbauten. Vermutlich brauchte er das nicht sofort zu tun, aber offenbar wollte er alle Spuren des Unternehmens tilgen.
    Er fand Arbeit als Nachtwächter in der Gießerei, für die Stunden von fünf Uhr nachmittags bis zehn Uhr abends. Mit der Tätigkeit als Nachtwächter ließ sich nicht viel Geld verdienen, aber das Gute daran war, dass er dabei gleichzeitig noch eine andere Arbeit tun konnte. Diese Nebentätigkeit nannte sich Fußböden filzen. Er war nie damit fertig, wenn seine Nachtwächterschicht zu Ende war, und manchmal kam er erst nach Mitternacht heim.
    Die Nachricht, die ich meinem Vater überbrachte, war keine wichtige Nachricht, aber sie war in unserem Familienleben wichtig. Ich sollte ihn nur daran erinnern, dass er nicht vergessen durfte, auf seinem Heimweg von der Arbeit im Haus meiner Großmutter vorbeizuschauen, ganz egal, wie spät es war. Meine Großmutter war in unsere Stadt gezogen, mit ihrer Schwester, sodass sie sich um uns kümmern konnte. Sie buk Kuchen und Rosinenbrötchen und flickte unsere Sachen und stopfte die Socken meines Vaters und meines Bruders. Mein Vater sollte sie nach der Arbeit in ihrem Haus in der Stadt aufsuchen, um diese Dinge abzuholen und eine Tasse Tee mit ihr zu trinken, aber oft vergaß er es. Sie saß auf und strickte, döste im Lampenlicht,

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