Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
Vom Netzwerk:
hätte, solle ich hinauslaufen und mir den Seerosenteich anschauen.
    Das muss ein sehr glückliches Gespräch gewesen sein. Erleichtert aufseiten meines Vaters – triumphierend aufseiten meiner Mutter. Sie hatte gut verdient, sie hatte fast alles verkauft, was sie mitgebracht hatte, das Unternehmen war ein Erfolg. Eine Bestätigung für sie, die Rettung für uns alle. Mein Vater muss daran gedacht haben, was als Erstes getan werden musste, ob er das Auto hier in einer Werkstatt reparieren lassen oder sich noch einmal damit auf die Nebenstraßen trauen sollte, um es zu Hause in die Werkstatt zu bringen, wo er die Leute kannte. Welche Rechnungen sofort bezahlt werden mussten und welche teilweise. Und meine Mutter muss in die Zukunft geblickt und daran gedacht haben, wie sie den Umsatz steigern konnte, in welchen anderen Hotels sie das versuchen konnte, wie viel mehr Capes und Stolas sie nächstes Jahr anfertigen lassen sollten, und ob sich das zu einem Geschäft rund ums Jahr entwickeln ließ.
    Sie konnte nicht voraussehen, wie bald die Amerikaner in den Krieg ziehen würden und dass sie deshalb zu Hause bleiben würden, wie schwer die Benzinrationierung die Ferienhotels treffen würde. Sie konnte den Angriff auf ihren eigenen Körper nicht voraussehen, die Zerstörung, die sich darin breitmachte.
    Sie redete noch Jahre später über das, was sie in jenem Sommer erreicht hatte. Dass sie genau gewusst hatte, wie sie es angehen musste, nie allzu sehr drängen, die Pelze präsentieren, als sei es für sie ein großes Vergnügen und nicht eine Sache des Geldes. Ein Verkauf schien das Letzte zu sein, was sie im Sinn hatte. Es war notwendig, den Leuten, die das Hotel leiteten, zu zeigen, dass sie den Eindruck, den das Haus machen wollte, nicht herabziehen würde, dass sie alles andere als eine Marktschreierin war. Sondern vielmehr eine Dame, deren Angebote etwas einmalig Vornehmes hinzufügten. Sie musste sich mit der Hotelleitung und den Angestellten ebenso anfreunden wie mit den Gästen.
    Und das bereitete ihr keine Mühe. Sie hatte das richtige Gespür dafür, Freundschaft und Geschäftsinteressen zu vermischen, das Gespür, das alle guten Verkäufer haben. Sie brauchte sich nie ihren Vorteil auszurechnen und kalt danach zu handeln. Alles, was sie tat, tat sie natürlich, und empfand dort, wo ihre Interessen lagen, echte Herzenswärme. Sie, die immer Schwierigkeiten mit ihrer Schwiegermutter und der Familie ihres Mannes gehabt hatte, die von unseren Nachbarn für hochnäsig gehalten wurde und von den Städterinnen in der Kirche für etwas zu geschäftstüchtig, hatte eine Welt der Fremden gefunden, in der sie sofort zu Hause war.
     
    Gegen all das empfand ich allmählich, als ich älter wurde, so etwas wie Abscheu. Ich verachtete die ganze Vorstellung, sich selbst derart zu benutzen, sich so von der Reaktion anderer abhängig zu machen, Schmeicheleien so geschickt und natürlich einzusetzen, dass man sie nicht einmal als Schmeicheleien erkannte. Und all das für Geld. Ich fand ein solches Verhalten beschämend, wie natürlich auch meine Großmutter. Ich hielt es für selbstverständlich, dass mein Vater ebenso empfand, auch wenn er es nicht zeigte. Ich glaubte daran – oder meinte, daran zu glauben, hart zu arbeiten und stolz zu sein, sich nicht für die Armut zu schämen und sogar eine leise Verachtung für jene zu empfinden, die ein angenehmes Leben führten.
    Ich bedauerte damals den Verlust der Füchse. Nicht den Handel mit ihnen, sondern den Verlust der Tiere selbst mit ihren schönen Schwänzen und den zornigen goldenen Augen. Als ich älter wurde und immer mehr Abstand zu ländlichem Leben, ländlichen Notwendigkeiten gewann, begann ich zum ersten Mal ihre Gefangenschaft in Frage zu stellen, Bedauern dafür zu empfinden, dass sie getötet und zu Geld gemacht wurden. (Ich gelangte nie dahin, etwas Ähnliches für die Nerze zu empfinden, die für mich fies und rattenähnlich waren und ihr Schicksal verdienten.) Ich wusste, dass dieses Gefühl Luxus war, und als ich das in späteren Jahren meinem Vater gegenüber erwähnte, sprach ich leichthin davon. Im selben Geist sagte er, er glaube, in Indien gebe es eine Religion, die behaupte, alle Tiere kämen in den Himmel. Stell dir vor, sagte er, wenn das wahr wäre – was für ein Rudel zähnefletschender Füchse ihn dort erwarten würde, ganz zu schweigen von all den anderen Pelzträgern, die er gefangen hatte, und den Nerzen und einer Herde donnernder Pferde, die

Weitere Kostenlose Bücher